Rezension zu Udo Reifner, Das Geld, Band 3: Recht des Geldes – Regulierung und Gerechtigkeit (Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017)
von Axel Halfmeier

 

Der dritte Band in Udo Reifners jüngstem opus magnum beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Geld und Recht. Dabei behandelt er eine ganz Reihe von Themen, die aus konventionell-juristischer Perspektive eher disparat erscheinen: Die Palette reicht vom Vertragsrecht über das Bankaufsichtsrecht bis hin zum Straf- und Steuerrecht. Reifner hat zu allem etwas zu sagen. Ein solcher Rundumschlag ist gewöhnlich in der Wissenschaft problematisch, hier aber aus drei Gründen trotzdem lesenswert: Erstens ist das Buch durchtränkt mit der jahrzehntelangen Erfahrung des Autors und bildet so ein Nachschlagewerk für zahlreiche Einzelfragen. Zweitens besteht der wesentliche Gebrauchswert des Buches darin, dass Reifner diese zahlreichen Einzelfragen aus einer konsistent ideologie- und sprachkritischen Perspektive angeht, die in dieser Form einzigartig ist. Drittens ist bemerkenswert, dass der Autor seine Kritik am Begriff der „Gerechtigkeit“ auszurichten versucht, der auch in der öffentlichen Diskussion um Exzesse in der Finanzbranche eine gewisse Konjunktur hat.

Zu ersten Punkt, dem enzyklopädischen Charakter des Werkes: Reifner ist ein Universalgelehrter im besten Sinne und nutzt die extensiven Fußnoten, um zahlreiche Einzelfragen zu vertiefen und historisch-kritisch zu beleuchten, bis hin zu Fragen des Familienrechts (Fn. 226). So liest man eigentlich zwei Bücher: Einmal den Haupttext, daneben aber auch noch Einzelabhandlungen zu unzähligen interessanten Details, die wie eine unerschöpfliche Quelle in den Fußnoten hervorsprudeln.

Trotzdem sind diese Einzelbetrachtungen nicht willkürlich aneinandergereiht, sondern durch die gesellschaftskritische Perspektive verbunden, aus der Reifner auf das Phänomen Geld und Recht blickt. Kritik ist bei ihm häufig auch Sprachkritik, er interessiert sich sehr für Begriffe, ihre Verwendung und Herkunft. Das ist für das Verständnis seines Gegenstands „Recht“ sehr hilfreich, da das Recht zumindest auch, wenn nicht gar überwiegend, als Sprach- und Kommunikationssystem auftritt. Als eines von vielen Beispielen sei der deutsche Begriff des „Verbrauchers“ (§ 13 BGB) herausgegriffen, der auch in der Rechtspraxis immer wieder Probleme macht, weil er fälschlich suggeriert, dass hier eine bestimmte Personengruppe zu schützen sei, während Reifner überzeugend herausarbeitet, dass es der Sache nach um „Konsumrecht“ geht, so dass eher die französische Bezeichnung vom droit de la consommation zutreffend ist. Damit hängt zusammen, dass Reifner eine „personalistische“ Ideologie im Verbrauchs-Recht ablehnt: Er will den Fokus nicht auf angeblich minderbemittelte, gar „verletzliche“ oder sonstwie zu bemitleidende „Verbraucher“ als Personen richten, sondern im Gegenteil auf die wirtschaftlichen Machtstrukturen, die eine Regelung des Konsums notwendig machen. Der Schutz des vermeintlich „Schwächeren“ ist aus Reifners Sicht untrennbar mit der Begrenzung der Macht des „Stärkeren“ verbunden.

Dass mit diesen sprachlichen Fragen auch sachlich-konzeptionelle Probleme zusammenhängen, zeigt etwa Reifners Kritik am im Verbrauchsrecht noch vorherrschenden Informationsparadigma: Gerade weil die angebliche Schwäche des „Verbrauchers“ als Informationsdefizit konstruiert wird, soll zu deren Behebung eine Überflutung mit Informationen dienen, die im Kredit- und Finanzdienstleistungsrecht mittlerweile absurde Ausmaße angenommen hat. Dieses Paradigma hängt letztlich mit der herrschenden marktförmigen Organisation des Konsums zusammen, in der alle Entscheidungen als „freiwillig“ und privatautonom gestaltbar dargestellt werden, auch wenn derartige Entscheidungsmöglichkeiten in der sozialen Realität weder vorhanden noch überhaupt gewollt sind.

Wie weit das von Reifner kritisch gesehene Markt- und Informationsmodell heute reicht, zeigt – als aktuelles Beispiel, das in Reifners Werk noch nicht vorkommt – etwa die am 25. Mai 2018 in Kraft tretende EU-Datenschutzgrundverordnung: Sie macht sämtliche Datenverarbeitungsvorgänge von – weitgehend fiktiven – „Einwilligungen“ der Betroffenen abhängig und statuiert dementsprechend exorbitante Informationspflichten. Die nächste Stufe der komplett marktförmigen Organisation der Gesellschaft wäre dann die im GroKo-Koalitionsvertrag vom Februar 2018 vorgesehene Einführung eines „Eigentums an Daten“, was dann letztlich jeden Kommunikationsvorgang in einen Kauf und Verkauf von Informationen verwandeln könnte.

Allerdings besteht die Stärke von Reifners Werk gerade darin, dass seine Kritik an der Eigentümer-Marktgesellschaft und ihrer rechtlichen Verfasstheit nicht einseitig ist, sondern dass er immer wieder auch die Vorzüge der bürgerlich-rechtlichen Errungenschaften von Freiheit, Gleichheit und Eigentum würdigt: So bedeutet Eigentum eben auch Schutz vor willkürlicher Machtausübung (S. 85), und auch eine bloß wohlfahrtsstaatliche Kompensation von sozialen Unterschieden ist mit einer anspruchsvollen Konzeption von „Gleichheit“ in Reifners Sinne wohl nicht vereinbar (S. 78 ff.).

Damit bin ich beim dritten wichtigen Aspekt des Buches angelangt, nämlich den normativen Grundlagen der Kritik. Dies ist traditionell eine Achillesferse sämtlicher kritischer Gesellschaftstheorie: Dass die herrschenden Verhältnisse schlecht sind, ist erstens offensichtlich und kann zweitens in detailreicher Kritik ausgeführt werden, was Reifner hier im Kontext „Geld“ überzeugend gelingt. Wesentlich schwieriger ist allerdings eine normative Begründung, warum man diese Gesellschaft (und ihr Recht) kritisiert, und – damit zusammenhängend – die Frage, ob es irgendeine utopische Alternative zu den bestehenden schlechten Verhältnissen geben könnte.

Udo Reifner geht auch dieser Kernfrage kritischer Rechtswissenschaft nicht etwa aus dem Weg, sondern traut sich, ein normatives Gegenmodell zu entwerfen. Er findet es im Begriff der Gerechtigkeit und bezieht sich dabei immer wieder auf das Werk von Aristoteles. Ob diese Bezüge wirklich stimmig sind, bedürfte einer ausführlichen fachphilosophischen Würdigung, die den Rahmen dieser Rezension sprengen und meine philosophischen Fähigkeiten übersteigen würde. Die Frage ist aber, ob sich die Reifnersche Konzeption auch unabhängig von ihren behaupteten transzendental-philosophischen Wurzeln nachvollziehen lässt.

Zunächst einmal ist wichtig, dass Reifner sich eindeutig gegen eine Wertneutralität oder rein empirische Betrachtung von Recht wendet. Er will vielmehr das Recht als „Wertesystem“ (S. 3) verstehen und die Gerechtigkeit im Recht „wiederentdecken“ (S. 26). Recht und Moral sind für ihn also zwei zusammenhängende Phänomene. Zugleich distanziert er sich aber in Fn. 48 von traditionellen naturrechtlichen Lehren – dies ist eine der oben genannten instruktiven Fußnoten, in der er im Anschluss an Rüthers und andere darlegt, dass gerade die im Nachkriegsdeutschland viel gescholtenen Rechtspositivisten gegenüber dem Faschismus widerstandsfähig waren. Dem klassischen Naturrecht will sich Reifner also nicht anschließen.

Wenn „Gerechtigkeit“ im Recht somit nicht die weitgehend beliebige Berufung auf überpositive Glaubenssätze darstellen kann, worin besteht sie bei Reifner dann? Eine mögliche Antwort liegt wohl in Reifners Konzeption eines „guten Lebens“, in der erneut der Aristotelische Ansatz anklingt. Dieses gute Leben denkt er aber nicht rein individuell im Sinne einer individuellen Nutzenmaximierung, sondern in freiwilliger Kooperation mit anderen Menschen, d. h. in einem gesellschaftlichen Zusammenhalt, den bloße Marktbeziehungen nicht liefern können. Insbesondere will Reifner einen Unterschied machen zwischen „reziproken“ und „synallagmatischen“ Tauschbeziehungen (S. 40). Erstere beruhen eher auf familiären oder sozialen Beziehungen und sind keinem Gewinnstreben unterworfen, während letztere dem Marktmodell entsprechen, in dem „jeder auf Kosten des anderen alles nimmt, was er bekommen kann“ (S. 38).

An dieser Stelle scheint – wie auch an vielen anderen Stellen – Reifners Misstrauen gegenüber der herrschenden ökonomischen Betrachtung durch. Der marktvermittelte Tausch erscheint bei ihm tendenziell als Nullsummenspiel, in dem sich ein Gewinn nur durch das Übervorteilen der Gegenseite erzielen lässt. Die grundlegende ökonomische Vorstellung, dass durch Marktaustausch der Gesamtnutzen erhöht wird, weil beide Seiten vom Austausch profitieren, passt nicht recht zu seinem Modell. Der in der Ökonomie vorherrschende nutzenbezogene Effizienzbegriff ist für ihn negativ besetzt; dieser diene nur den herrschenden Eliten (Fn. 238).

Auch andere ökonomische Begriffe und Konzepte stehen bei Reifner prinzipiell unter Verdacht, etwa die Preisbildung: Er scheint anzunehmen, dass es so etwa wie einen wahren (oder gar gerechten?) Wert gibt, der nicht mit dem Marktpreis identisch ist – daher fordert er etwa für Wertpapiere ein „umfassendes und neutrales Bewertungssystem“, das neben dem Kurswert auch den „wirklichen Wert“ ausweise (S. 53 f.), wobei aber unklar bleibt, wie dieser ermittelt werden soll und warum sich dieser von der durch die Marktteilnehner vorgenommenen Bewertung unterscheiden sollte.

Insgesamt wendet sich Reifner immer wieder gegen die heute in der Rechtswissenschaft international übliche „ökonomische Analyse des Rechts“. Er will sie vielmehr ersetzen durch eine „rechtliche Analyse der Ökonomie“ (S. 4), indem er seine Gerechtigkeitsvorstellungen als normativen Maßstab an die Stelle des Effizienzbegriffs setzt. Mein Problem mit diesem Ansatz besteht darin, dass Reifner – ganz anders als im Rest seines Werkes – gegen die ökonomische Analyse nur einseitig argumentiert und das ihr immanente kritisches Potential nicht weiter erforscht. Gerade sein Ansatz vom „guten Leben für alle“ ließe sich ohne weiteres in die Sprache der ökonomischen Analyse übersetzen, in der es um den größtmöglichen gesellschaftlichen Gesamtnutzen geht, der wiederum vom Maß der Erfüllung der Bedürfnisse aller Menschen abhängt. Das kritische Potential der ökonomischen Analyse besteht gerade darin, dass sie eben nicht nach dem Nutzen für „die Wirtschaft“ (S. 3) fragt, wie Reifner im Sinne von „die Kapitaleigner“ suggeriert, sondern für die Gesellschaft insgesamt als Addition aller individuellen Nutzenvorstellungen. Daher taugt auch die ökonomische Analyse durchaus für die Kritik bestehender Markt- und Machtverhältnisse – man denke etwa an das Konzept der Internalisierung externer Effekte mit Blick auf von Unternehmen verursachten Umweltschäden.

Möglicherweise ist Reifners kritischer Ansatz näher an einer in diesem Sinne kritischen ökonomischen Analyse, als er selbst zugestehen möchte. Ungerecht ist für ihn vor allem die Anfangsverteilung der Ressourcen in der Gesellschaft (S. 24) – das ist aber offensichtlich und auch nicht Thema der ökonomischen Analyse des Rechts. Auch Reifner will diese Ungerechtigkeiten jedoch nicht vollständig abschaffen, solange zumindest auch das „schwächste Glied einer kapitalistischen Gesellschaft“ immer noch besser dasteht als in einem alternativen Wirtschaftssystem (S. 25). Dies erinnert aber doch sehr an das Pareto-Kriterium der Ökonomen.

Weitere Parallelen bestehen zwischen Reifners prinzipiell liberalem Ansatz, wonach er den Inhalt des „guten Lebens“ nicht vorschreiben will, sondern die subjektiven Präferenzen als solche akzeptiert (S. 42), und dem Grundmodell der ökonomischen Analyse, in dem die Präferenzen als exogen vorgegeben gelten. An einer anderen Stelle – bezogen auf die Überschuldungsproblematik – erkennt auch Reifner an, dass der Gesamtnutzen bestimmter kapitalistischer „Opferrituale“ hoch genug sein kann, um daraus Kompensation für die Betroffenen zu finanzieren (Fn. 217). Dies erinnert wiederum an das Kaldor-Hicks-Kriterium, welches die Kompensation von Einbußen in die gesamtgesellschaftliche Nutzenbewertung einer bestimmten Maßnahme einbezieht.

Insgesamt hat Udo Reifner mit „Das Geld“ daher eine eindrucksvolle und detailreiche Kritik der bestehenden Geldwirtschaft und ihrer rechtlichen Organisation vorgelegt. Das „gute Leben für alle“ ist aber mannigfaltig: Es mag in der Lektüre von Aristoteles bestehen, oder in einer vorzüglichen Dorade im Salzmantel. Aber genauso wie es nicht die eine richtige Zubereitung der Dorade gibt, mag man sich über Aristoteles hinaus auch andere Ansätze vorstellen, auf die sich eine Kritik der herrschenden Verhältnisse stützen ließe.

More information about the author

Download pdf

Gerechtigkeit und Effizienz

Anmerkung zu Axel Halfmeier: Ein gutes Leben für alle

Die akribische Besprechung meines Bd.3, dem Geldrecht, vermittelt mir, dass die ursprünglich nicht beabsichtigte Teilung des Werkes in drei bzw. vier Bände doch Sinn macht und juristische Leser ansprechen könnte. Man erhält eine fachliche Rückmeldung und Bestätigung, dass man in der Wissenschaft selber angekommen ist.

  1. (Gerechtigkeit) Gleichwohl gibt es Hürden, wenn man in Bd. 3 etwas voraussetzt, was zuvor entwickelt wurde. Halfmeier findet diese Begriffe in meiner eigenwilligen Charakterisierung von Wirtschaftssystemen und ihren Rechtsformen, die ich als synallagmatisch oder reziprok bezeichnet habe. Auf diesen im ersten Band entwickelten Konzepten baut schon die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft auf, die den zweiten Band charakterisiert, bei dem auch Haben und Soll, Gewinnstreben und Schuld eingeordnet werden. Der Gerechtigkeitsbegriff ist die juristische Form, in der sich Kooperation zum Vertrag entwickelt.

Hier ist ein schmaler Grat zu bewältigen. Altruismus und Gewinnstreben sind für mich keine alternativen Wirtschaftssysteme, sondern nur die zwei Seiten derselben Medaille. Ich habe Aristoteles so verstanden (oder vielleicht auch nur so ausgelegt), dass er die Gerechtigkeit des „Jedem das Seine“ wie eine moderne Verbrauchertheorie festlegte, dann aber anders seine juristischen Rezeptoren heute, sie nach Systemen differenziert betrachtete. Zentraler Punkt für ihn war dabei der Tausch, mit dem er auch den Altruismus dachte. In Tauschdenken war Gerechtigkeit für ihn ein „Mittleres“.  Diese Idee entnahm er der Urform jeden Wirtschaftens, der Zusammenarbeit von zwei Menschen zur Erzielung eines gemeinsamen Erfolges. Die christliche Mythologie hat die Konstellation mit den Namen Adam und Eva belegt. Die Anzahl der Kooperierenden wuchs danach beständig. Nach Kain und Abel fand Aristotels eine agrarische Hauswirtschaft vor, die seinen Begriff  der Ökonomie prägte. Sie wurde in der Neuzeit durch die industrielle Fertigung ersetzt, die nach ihrer Automatisierung heute eine zeitlich versetzte globalisierter Vernetzung aller Kooperationsmöglichkeiten bestimmt.

Das Urmodell der Gerechtigkeit, das Mittlere, ist aber geblieben. Aristoteles entnahm es dem gegenseitigen Austausch. Da dieser Austausch objektiv die Ergebnisse bewusster Kooperation erzielt ist er in der Regel kein Nullsummenspiel. Es entsteht also ein Kooperationsgewinn, der im Ergebnis alle Beteiligten reicher machen könnte. Deshalb hielt Aristoteles den Gewinn allein auf Kosten anderer auch für Wucher. Er fand es gerecht, wenn der Kooperationsgewinn selbst in synallagmatischen Tauschverhältnissen in der Mitte, also „brüderlich“ oder „schwesterlich“, geteilt würde. Er träumte das, was Thomas von Aquin später als „gerechten Preis“ bezeichnete: ein überindividuelles kollektives Gewinnstreben.

Dieses Ideal sah er erwartungsgemäß vor allem dort verwirklicht, wo nur kollektiv getauscht wurde. In der reziproken Wirtschaftsweise gibt jeder und jede denen, die darum Not leiden. Das sind für ihn keine Geschenke. Es ist die Bereitstellung von Mitteln an die Gemeinschaft im Tausch gegen die Chance entsprechender Versorgung, so wie es der Staat mit seinen steuerfinanzierten Ausgaben auch heute noch vorlebt. Das dieses Denken die empirisch wahrnehmbaren Rechtswirklichkeiten (nicht jedoch die Rechtsprinzipien) mehr als das individualistische Gewinnprinzip beherrscht, fällt nur deshalb nicht auf, weil die entsprechenden Handlungsbereiche aus dem Bruttosozialprodukt verbannt bleiben.

Gleichwohl gebe ich dem Rezensenten Recht, dass auch das individualistische Gewinnprinzip des Adam Smith mit seinen Nullsummenspielen ein unverzichtbares Anreizsystem für produktive Wirtschaft darstellt. Marktwirtschaft mit all ihren Produktivitätsfortschritten hätte sich niemals durchgesetzt, wenn das Aristotelische und Aquinische Synallagma zur Richtschnur geworden wären. Geiz und Habsucht sind wichtig, deshalb aber für mich auch nicht in der Form der Gewinn- und Akkumulationsprinzip schon an sich gerecht. Wir müssen nur damit leben, weil Ungerechtigkeit oft produktiver ist als gerechtes Verhalten. Der damit erreichte größere Kuchen kann auch bei ungerechter Verteilung allen Beteiligten größere Stücke beschweren als in einer gerechten Wirtschaft.

Allerdings muss sich diese Produktivität rechtfertigen. Das Gewinnprinzip auf Kosten anderer ist eilnur eine sinnvolle Heuristik und ein notwendiges Übel. Es kommt dem Recht zu, deren Früchte auch denen zugutekommen zu lassen, deren Wohlbefinden z.B. mit dem Wucherzins für kreditunwürdige Arme der Effizienz des Gesamtsystems geopfert wurde. Recht setzt hier Grenzen und Wucher- und Betrugsverbot sind wohl die wichtigsten davon.

  1. (Gerechter Aktienpreis?) Bei dem Vorschlag zur Bewertung der Wertpapiere wollte ich dagegen keinen Beitrag zum gerechten, sondern im Interesse der Finanzstabilität nur einen Beitrag zur rationalen Preisfindung liefern. Die Abschätzung zukünftiger Entwicklungen bestimmt die aktuelle Kaufentscheidung. Umso spekulativer sie ist, umso größer wird die Fallhöhe im Crash. Marktypisch wird dabei der zukünftige Kurs aus der Zeitreihe der vergangenen Kurse extrapoliert (Chartanalyse). Darin ist die Spekulation enthalten. Nachhaltige bzw. langfristige Investoren ergänzen daher die Analyse durch die Feststellung des „inneren Wertes“, der sich aus dem aktuellen Verkaufswert geteilt durch die Anzahl der umlaufenden Aktien ergibt. Damit ist man näher am Geschehen und bewusster im Kaufverhalten. Man erzielt damit keinen gerechten Preis, sondern fundiert lediglich seine Entscheidung. Das halte ich zur Stabilisierung des Finanzsystems, wie es im vierten Band ausgeführt ist, für hilfreich. Da die Kosten dieser Analysen weit über denen einer Chartanalyse liegen, wird man ohne staatliche Hilfe eine solche Fundierung nicht erreichen. Die aber soll keine Kurse festlegen, sondern nur Bewertungsgutachten zur Evaluation des Potenzials aktueller Kurse ermöglichen, wie sie bisher nur bei Aktienemission und im Bankenrating vorgeschrieben ist.
  2. (ÖAR) Ich gebe zu, dass meine Kritik der ökonomischen Analyse des Rechts, die sich mit dem Kürzel ÖAR von einer Methode zu einer Lehre entwickelt hat, nicht gerecht wird. Meine Ablehnung ist teilweise emotional. In Band 2 habe ich dies in meiner Kritik des Neo-Liberalismus rechtzeitig gemerkt. Im gegensatz zur Geldgesellschaft habe ich mich von der konservativen Kritik Rolf Stürners (Markt und Wettbewerb über alles?) abgesetzt und Hayeks Verdienste gegen autoritäre Regime gewürdigt. Mir ist auch nicht entgangen, das Ott und Schäfer die Ehre gewährten, in ihrem Standardwerk mein Konzept zum Alternativen Wirtschaftsrecht dazu zu nutzen, zu illustrieren, dass auch sozial kompensatorische Ergebnisse mit der ÖAR erzielbar wären, wenn man die Effizienzziele entsprechend definiert und ÖAR nicht als Ideologie, sondern als Methode erkennt. Allein meine nächtelange Diskussion mit Ejan Mackaay in Montreal über den Wert eines tödlichen Betriebsunfalls im Verhältnis zu entsprechenden Präventionskosten beim U-Bahnbau, der Vortrag beim bag lunch von Geoffrey P. Miller an der NYU, dass Behindertenparkplätze ineffizient seien, die Ansätze von George Priest über die verbraucherpolitische Ineffizienz von Gewährleistungsrechten oder Alan Schwartz‘ effizienter Vertragsbruch haben mich eher moralisch als wissenschaftlich zum Opponenten gemacht. Dass die Produktion zusätzlicher Kosten durch Recht ineffizient ist, gilt doch nur, wenn man akzeptiert, soweit der Geldwert ein adäquater Maßstab für den Erfolg sein kann. Der Kauf von CO2-Rechten macht dies deutlich.

Umgekehrt ist aber auch nichts Falsches an einer ökonomischen Analyse des Rechts, der keine einer falsche Ökonomie zugrunde liegt. Dass dann der DFG Forschungspreis 2018 dafür vergeben wurde, dass jemand rechtliche Wuchergrenzen eher für hinderlich bei der Prävention von Überschuldung hält, liegt ja nicht daran, dass die Ökonomie hier Kompetenz bei der Verarbeitung der soziologischen Daten zeigen würde. Grund dieser Fehleinschätzung ist, dass Modellannahmen über Verhaltensoptionen zugrunde gelegt werden, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Der demokratisch gewonnene Kompromiss zwischen Gerechtigkeit und Effizienz könnte daher durch eine um eine SARW (soziologischen Analyse von Recht und Wirtschaft) ergänzt werden. (UR) 17.12.2018