BERLIN SOLL SICH SELBST HELFEN – „DRITTE WELT IN DEUTSCHLAND?”

Die Solidarität des Bundes mit einzelnen Ländern hat seine Grenzen. Das hat das Bundesverfassungsgericht jüngst festgestellt, als es über den bereits bestehenden Länderfinanzausgleich hinaus die Hilfe des Bundes ausschloss, indem es die verfassungsrechtliche Voraussetzung der „extremen Haushaltslage” so eng interpretiert hat, dass sie erst vorläge, wenn wie einst in New York die Polizisten ohne Gehalt dastünden.

Damit ist auch im Förderalismus das „Hilf Dir selbst” Prinzip eingeführt, mit dem unsere moderne Armutsbekämpfung so für alle entlastend argumentiert:

„Nicht schon nach dem Wortlaut der Norm, jedoch nach Zweck und Systematik erweisen sich Sanierungspflichten des Bundes (im Verbund mit den übrigen Ländern) und korrespondierende Ansprüche eines Not leidenden Landes als Fremdkörper innerhalb des geltenden bundesstaatlichen Finanzausgleichs.” (Rdn 172)

„Das für Sanierungszuweisungen geltende strenge UltimaRatioPrinzip mit der Beschränkung von Sanierungspflichten und Sanierungsansprüchen auf den bundesstaatlichen Notstand fordert insbesondere, dass die eigenen Handlungsmöglichkeiten des Landes ausgeschöpft sind.” (Rdn 198)

SOLIDARITÄT NUR FÜR DIE DIE NICHTS MEHR HABEN

Wie bei den Ratschlägen an Arbeitslose, Obdachlose und Überschuldete meint das Bundesverfassungsgericht, Berlin solle seine eigenen Ressourcen aktivieren. Ähnlich wie ein Sozialamt oder ein Inkassoinstitut gibt es dann noch ein paar Ratschläge, wie man zu Geld kommt. Es solle doch einfach seine Wohnungen verkaufen, dann wäre es schon reich.

„Bevor bundesstaatliche Solidarität in Anspruch genommen wird, müssen neben der Nutzung aller Möglichkeiten der Ausgabenreduzierung bestehende Optionen zur Erzielung sonstiger erheblicher Einnahmen vollständig umgesetzt werden. … Hierbei ist auch der landeseigene Wohnungsbestand in den Blick zu nehmen, dessen möglichen Veräußerungserlös der Senat mit etwa 5 Mrd. € ansetzt. Eine derartige Einmaleinnahme auf Grund von Veräußerungen bedeutete für die Haushaltswirtschaft eine dauerhafte Entlastung, wenn der Erlös in die Schuldentilgung flösse und die hierdurch eintretende Reduzierung der Zinslast die Nettoeinnahmen aus der Bewirtschaftung des Wohnungsbestandes überstiege.”

Wohnung ist hier nur Geldwert, sozialer Wohnungsbau war somit nur Kapitalanlage. Obdachlosigkeit ist damit ein intelligenter Verzicht auf eine illiquide Kapitalanlage. Das urteil verwechselt Liquidität mit Vermögen, Cash Flow mit Bilanz. Durch Verkauf des Tafelsilbers wird man nicht reicher sondern nur fähiger, Geldschulden zu bezahlen. Inwirklichkeit wird das Volk von Berlin eher ärmer zumindest an Zukunftschancen.

Im alten Testament gab es für eine Sippe, für die heute eine Kommune stehen würde, noch alle sieben Jahr ein Erlassjahr, bei dem alle Schulden gestrichen wurden, auch wenn noch Vieh und Arbeitskraft vorhanden war. Jeder Hof sollte noch eine Zukunft haben. Die moderne Zeit hält es mehr mit dem Neuen Testament, wo dem, der nichts mit seinen Pfunden erreichen konnte das Letzte abgenommen und dem gegeben wurde, der seine Pfunde vermehren konnte.

MISSWIRTSCHAFT DARF NICHT BELOHNT WERDEN

Doch das war Geschichte. Heute brauchen wir Sanktionen für die, die sich nicht wirtschafltich verhalten, weil die Moral auf allen Seiten dem Kalkül weichen musste.
Wir können diese Umerziehung durch die Marktwirtschaft beklagen aber nicht ändern. Rechnungshöfe und Kontrolleure haben in einer individualistischen Gesellschaft die Moral ersetzen müssen, weil nicht nur die Gläubiger und die Reichen sondern auch die Schuldner und Armen so denken und handeln. Die ökonomische Theorie nennt das bei den Schuldnern „moral hazard” und „adverse selection” oder zu Deutsch: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert” (moral hazard) und ist man großzügig, greifen immer die Falschen als erstes zu (adverse selection). Die Folgen einer vollständig verfehlten und wohl zu guten Teilen auch jetzt vor den Strafgerichten verhandelten kriminellen Ausgabepolitik in Berlin und teilweise auch in Bremen, die in Prestigeprojekte und Bauspekulanten ebenso wie in eine durch persönliche Beziehungen gekennzeichnete Personalpolitik Milliarden steckten, können nicht einfach solidarisch umgelegt werden, sonst würden es alle einmal versuchen. Aber trifft es die Richtigen, diejenigen, die schlecht gewirtschaftet haben und korrupt wurden, Kredite an Freund vermittelten und dafür hochverzinsliche garantierte Anlagezertifikate bekamen?

DIE ZECHE ABER BEZAHLEN DIE ANDEREN

Glaubt man den Sparvorschlägen in Berlin, so ist die Zeche voraussichtlich nicht von der Wirtschaft sondern von den Armen, den Bedürftigen und der Kultur zu zahlen, alles Bereiche, in denen bislang nicht gerade Geld verprasst wurde, die aber für die wirtschaftliche Gesundung „verzichtbare” Etats haben. Es geht ihnen wie den Kindern der Arbeitslosen: auch sie leben in Armut, wenn die Eltern mit dem Kindergeld zuerst ihre fehlenden Einnahmen aufbessern müssen. Bezahlen werden aber auch die Hamburger und Münchener, die nach Berlin fahren, um von den unmittelbaren Verwertungsbedürfnissen ihrer Wirtschaft einmal auszuspannen. Was wir alle in Deutschland mit einem Berlin als Hauptstadt der Kultur und der breiten Bildung verlieren werden, ist kaum abzuschätzen. Dazu passt es, dass mit sozialdemokratischen „Exzellenzzentren” derweil Milliarden Steuergelder an die Münchner und Stuttgarter Universitäten fließen, die sich auf Spitzenforschung zulasten der breiten Ausbildung spezialisiert haben. Dieser Art von „Länderfinanzausgleich” folgt dem Grundsatz, „Wer hat, dem wird gegeben”. Sie wurden ja nicht zuletzt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem bemerken ausgesucht, man habe dorthin auch schon jetzt die meisten Steuermittel vergeben.

DIE SCHULDIGEN SIND UNANTASTBAR

Erinnern wir uns, dieses Berlin hat mit über 30 Milliarden Bürgschaft seine nach einer vordergründigen Privatisierung politisch umso abhängiger gehaltene Berliner Bank gestützt und das deutsche Bankensystem, das an sich zuständig war, vor den Folgen dieses Bankrotts verschont. (unsere damaligen Vorschläge bevor es zu spät war finden sie als Link am ende des Textes unten) Keiner zieht dies in Zweifel, auch wenn, wie es ein Insider uns erklärte, es durch Parlamentserpressung zustande kam, weil die öffentlichrechtliche Landesbank, die man damals bei der Privatisierung „vergessen” hatte, mit Großkrediten an die Restbank durch die Hintertür das Land Berlin doch schon lange vorher zum Ausfallbürgen dieses merkwürdigen Bankgebildes gemacht hatte.

Ob das rechtlich alles so unantastbar ist, muss man allerdings nicht bei den Bankjuristen erfragen. Der Bundesgerichtshof (Neue Juristische Wochenschrift 1989, 2138) hatte schließlich schon einmal die Bürgschaft einer Stadt als Verstoß gegen die guten Sitten gewertet, weil er sie so unfair fand, wie die erpresste Bürgschaft einer Ehefrau für ihren überschuldeten Gatten. Eine mutige Partei, die den Senat dahin bekommen würde, diesen Prozess anzustrengen, könnte zumindest erreichen, dass die Hintergründe dieser merkwürdigen Gefährdung von Steuermilliarden in einem Gerichtsverfahren ordentlich beleuchtet würden.

Ab er auch ohne einen solchen Prozess bleibt die Frage, ob man nicht statt der Oper und den Obdachlosen denen die Lasten aufbürden sollte, die sich an dem Boom der 90iger Jahre bereichert haben? Es geht nicht! Es sind doch dieselben, die nun die Wirtschaft in die Zukunft führen müssen, genauso wie nach 1945 auch keine Ersatzelite bereitstand. Bei ihnen sind die Arbeitsplätze, das Wirtschaftswachstum und das Knowhow angesiedelt. Nicht auf ihre Moral aber auf ihr Wissen muss zähneknirschend gebaut werden. Die Armen können es der Regierung nur mit dem Stimmzettel heimzahlen und vernünftige Konzepte für die Zukunft einfordern. Auf die Regierung oder die Wirtschaftsführer, die die MilliardenBürgschaft der Stadt Berlin notwendig machten, können Sie aber nicht verzichten.

DOCH SOLLEN WEITERHIN ZINSEN BEZAHLT WERDEN?

Es geht aber bei den Schulden um etwas ganz anderes, was das Bundesverfassungsgericht zutreffend erkannt hat, als es ausführt:

„Unbeschadet aller prognostischen Unsicherheiten von Steuerschätzungen sind Haushaltsnotlagen grundsätzlich auch voraussehbare Folge vorangegangener Politik, denn es geht … um übermäßige Belastungen durch die Rechtspflicht zu Zinszahlungen als Folge der Kreditfinanzierung vorangegangener Haushalte.” (Rdn 187)

61 Milliarden Schulden des Landes Berlin bedeuten bei 4%iger Verzinsung pro Jahr, 2,44 Milliarden Euro, das sind täglich 6,68 Millionen, die der Berliner Senat aus seinem Etat den Banken an Zinsen zu zahlen hat. Wenn man die Opern schließt, hätte man dafür die Zinszahlungen an die Banken für 5 Tage aufgebracht. Mehr als 10.000 Sozialhilfeempfänger müssten einen Monat ohne alles auskommen, damit ein Tag Zinsen bezahlt werden kann. Wer einen Taschenrechner hat, kann unbegrenzt weiter machen und alle unsere öffentlichen Leistungen in Zinstage umrechnen. Ist das gerecht? Hatte die NSDAP mit der Forderung in ihrem Parteiprogramm „wider die Zinsknechtschaft” da etwa Richtige aufgegriffen und brauchen wir das Zinsverbot des alten katholischen Kirchenrechts wieder? Nein, die moderne Wirtschaft baut auf dem Zins auf und auch die Gerechtigkeit ist ohne Zinsen nicht denkbar. Alles andere ist ein populistisches Zurück in die Steinzeit. Ob Fidel Castro oder NPD, das Kapital Zinsen trägt ist nicht das Problem. Bei der Frage, „Wie lange denn?”, sieht es schon anders aus.

Ein anonymer Kapitalist, für den wir alle nur deshalb unsere Steuern abgeben, damit er sein Geld unendlich vermehren kann, ist aus der Perspektive einer leistungsorientierten Marktwirtschaft ein Monster. Vielleicht können wir den Kapitalisten brauchen aber das Monster für Berlin zähmen.

WARUM ÜBERHAUPT ZINSEN?

Warum werden Zinsen überhaupt gezahlt? Mit solchen Zahlungen wird ja nicht die Schuld verringert, sondern nur ein Gläubiger bedient. Zinsen sind eine Beteiligung des Geldgebers an dem Vorteil, den der Kreditnehmer aus der Nutzung des Geldes zieht. Wer sich mit fremden Geld ein Auto kauft erhält das Geld, weil der Geldgeber dafür am Nutzen der Investition beteiligt wird, und dafür freiwillig eine Zeit lang auf die eigene Nutzung seines Geldes verzichtet, Der Nutzen des Kreditnehmers ist das gekaufte Auto, das ihm die Taxikosten erspart und die Urlaubsfahrt mit der Familie billiger macht. Man kann es sich ausrechnen, ob sich der Kredit „lohnt”, wobei es nicht nur um Geld sondern auch um andere Vorteile wie Lebensqualität geht.

WAS WENN DAS KAPITAL KEINEN NUTZEN MEHR ABWIRFT?

Was aber, wenn das Auto zu Schrott gefahren wurde, wenn das Investitionsgut gar nicht mehr existiert oder wenn sich die gesamte Investition als großer Irrtum erwiesen hat, wie z. B. der Bremer Spacepark, in den Millionen der Stadt investiert wurden und der jetzt leer und verwaist herumsteht oder aber die Bauten im Osten, die vor sich hin vegetieren? Was ist, wenn mit diesem Geld Sozialhilfe gezahlt wurde und die Familien vor allem im Osten Berlins damit zwar am Leben erhalten werden konnten, gleichwohl keine Arbeitsplätze fanden und auch sonst nicht in die Lage versetzt werden konnten, das Geld produktiv zu verwenden und zu Steuerzahlern zu werden? Die Erwartung, dass sie Nutzen aus diesem Geld ziehen, hat sich nicht erfüllt. Es ist nicht alles ihre Schuld und hier wohl auch nicht die Schuld Berlins, auch wenn die Wirtschaftspolitik hätte besser sein können.

Wenn die Bayern jahrzehntelang den Länderfinanzausgleich bekamen und als Agrarstaat die Kosten eines Strukturwandels mit Industriebrachen wie in NRW sparten und stattdessen saubere High Tech anziehen konnten, wenn Hamburg anders als Berlin keine marode Stadthälfte hinzubekam sondern nur neue Kunden im Osten und nicht aus einer Insellage zu einem regionalen Zentrum werden musste, wenn die Konjunktur nicht alle Branchen gleich bestraft und die Banken Frankfurt, die Versicherer Hamburg und München und viele Goldgräber Berlin wieder verließen und sogar das Ausland bevorzugten, dann kann die Erwartung der Kreditgeber, ihr Geld würde sich überall gleich vermehren, nicht richtig sein. Was Bayern aus der Portokasse bezahlt, zahlt man in Berlin mit Sozialhilfe ab.

UND WENN DER NUTZEN ERST ZU SPÄT EINTRITT?

Vielleicht aber ist es auch noch ganz anders. Vielleicht passiert das, was Bayern vorgemacht hat. Die Quersubventionen aus NRW in den 50ziger und 60ziger Jahren zahlten sich nämlich erst in den 80ziger und 90ziger Jahren aus. Regionalentwicklung ist langfristig, Kredite werden immer kurzfristiger. Und die Politik macht mit. Ist es nicht gerade Bayern, das nach dem Urteil jetzt sogar eine vom Bund kontrollierte kurzfristige Denkweise für die armen Staaten fordert, die jedes Jahr „einen verfassungsmäßigen Haushalt” oder was richtiger wäre, einen kurzsichtigen prozyklischen Haushalt aufstellen sollen. Langfristig könnte es so sein, dass nur der Schein entstand, als ob alles verprasst wurde. In Wirklichkeit werden die Kinder, die einen freien Kindergartenplatz in Berlin erhielten und ohne Studiengebühren dort studierten oder eine gute Schule besuchten, erst in 20 bzw. 5 Jahren zeigen können, dass es sich gelohnt hat. In Wirklichkeit wird die Verbesserung der Verhältnisse im Osten Berlins und die Erhaltung seiner Kultur erst in 20 Jahren die Chance haben zu zeigen, dass es das ist, was die Leute in Zukunft kaufen wollen. Dann mag Trachtenromantik, schwäbische Genügsamkeit oder hamburgischer Kaufmannsgeist im Regal auf Käufer warten. Wer weiß? Doch unsere Gesetze verlangen einen Haushalt, der jedes Jahr ausgeglichen ist, 3% dürfen insgesamt pro Jahr nicht überschritten werden u.s.w. Kurzfristigkeit ist das Gebot der Geldwirtschaft und manche Banken wechseln auf der Jagd nach mehr Gewinn wöchentlich ihre Politik, weshalb die langfristige Klimakatastrophe heute eben solange kein Problem ist, wie uns das Schmelzwasser der Arktis noch nicht bis zum Halse steht.

DIE ZINSEN FÜR SCHULDEN INSOLVENTER LÄNDER WERDEN MIT DER EXISTENZ UND ZUKUNFTSHOFFNUNG IHRER MENSCHEN GETILGT.

Wenn aber aus den Investitionen selber heraus (zumindest jetzt) kein liquidierbarer Nutzen mehr gezogen wird, dann wird der Kreditgeber an Einnahmen beteiligt, die eigentlich für andere Zwecke gebraucht werden. Er und nicht die Stadt bekommen die Steuern, die zur Erhaltung der Infrastruktur und zur sozialen Abfederung notwendig wären, die die Kultur erhalten sollten, um den Ruf der Stadt zu gründen. Das heißt, die Stadt verliert an Lebensmöglichkeiten für die Zukunft und gerät in eine Abwärtsspirale. Wir konnten dies an den Problemen der Dritten Welt beobachten, die auf einem Berg von unnütz verausgabten aufgedrängten Milliardenbeträgen sog. Entwicklungskredite saßen, und das Geld welches sie produktiv erwirtschaftetet hatten, nicht mehr für sich, sondern für die Zinszahlungen der alten Gläubiger verwenden mussten.

Aus der Beteiligung an der Nutzung eines geliehenen Kapitals wird somit das Recht auf eine Strafzahlung des Kreditnehmers dafür, dass er dieses Kapital nicht Nutzbringend angelegt hat.

Der Gläubiger tut so, als ob alles in Ordnung gegangen ist, als ob die Investition genau das gebracht hat, was sich beide erwarten hatten. Das Recht gibt ihm insofern Recht, weil es das Risiko der unproduktiven Nutzung bei dem belässt, der schließlich diese Nutzung zu verantworten hat.

SCHULDEN SOLL MAN BEZAHLEN, ZINSEN NUR UNTER UMSTÄNDEN

Schulden müssen gezahlt werden, weil die, die dies nicht müssen, auch nicht mit Geld umgehen lernen. Almosen und Schuldenerlasse helfen nicht sondern schieben die armen Staaten wie Menschen auf ein Abstellgleis, ausgeschlossen vom produktiven Wirtschaftskreislauf. Aber müssen diese Schulden auch mit den gleichen Zinsen weiter bedient werden, die einst in der Hoffnung auf produktive Investition vereinbart wurden? Was ist, wenn der Kredit nur die Not überbrückte, die ein Wirtschaftssystem nur einigen und dem Staat aufbürdet?

SCHULDEN BEZAHLEN NUR DIE LEBENDEN – DESHALB STERBEN KAPITALGESELLSCHAFTEN IM KONKURS

Wer glaubt, Schulden bezahlen sei ein wirtschaftliches Prinzip, der irrt. Die Wirtschaft selber hat hierfür intelligente Lösungen entwickelt, die den zivilrechtlichen Satz „Geld hat man zu haben” ignorieren. Dazu gehören die jurstischen Personen, die Aktien und Gesellschafteranteile und der Konkurs. In diesen Formen beteiligt die Wirtschaft die Kreditgeber an dem Risiko der Investition und schafft es, dass die Beteiligung an nicht mehr vorhandenem Kapitalnutzungen ein schnelles Ende findet. Hier werden Kredite in der Form des Eigenkapitals als Aktien auf dem Kapitalmarkt aufgenommen, die Dividenden nur bei produktiger Nutzung ausschütten und sich entwerten, wenn die Investition schlecht läuft. Wenn Großprojekte in die Form einer Aktiengesellschaft oder GmbH gekleidet und risikobehaftete Unternehmungen als eigenständige Firmen ausgegliedert werden, bürdet der Konkurs den Gläubigern sogar den Totalverlust auf. Das Mutterland des Kapitalismus lässt die Gründung einer ltd, einer limited Company, die mit dem Konkurs verschwindet, ohne jegliches Eigenkapital zu. Eintragung genügt und schon wird jeder Kredit eine Lotterie, während der Verbraucherkredit eine Bank ist.

Jede Bank überlegt sich, ob und zu welchen Konditionen sie finanziert und trägt somit dazu bei, dass Gelder nicht verschleudert werden. Erweist sich eine Unternehmung als gescheitert, wie z. B. die ausgegliederte Handysparte bei Siemens im Unternehmen BenQ, so kann man es evtl. insolvent machen oder für einen Schrottpreis verkaufen, damit diese Unternehmung saniert wird. Aktionäre und private Kreditgeber (Zeichner von Anleihen) gehen leer aus und die Banken erhalten für die gewährten Kredite keine Zinsen mehr und verlieren auch noch Teile des Kapitals, wie etwa die Deutsche Bank in der Pleite des Baulöwen Schneider.

Die Geldgeber sind somit am Risiko beteiligt und haben nichts davon, wenn ein leichtsinniger Kunde ihr Geld verschleudert. Das Recht tut einfach so, als ob der Schuldner gestorben wäre, wenn die Aktiengesellschaft oder GmbH aufgelöst wird. Alle lernen daraus und die Manager, die ein Unternehmen in den Konkurs geführt haben verlieren ihren Job und werden Probleme bekommen noch einmal so etwas zu tun. Insbesondere aber wird die Teufelsspirale aufgelöst, wonach aus produktiver Arbeit gezogene Nutzungen lange Zeit noch für verfehlte, vergangene Investitionen herhalten müssen, sodass eine Firma nur noch für die Vergangenheit arbeitet und ihre Zukunft verspielt.

DOCH DER STAAT UND DAMIT SEINE SCHULDEN LEBEN EWIG

Bei den Verbrauchern und dem Staat ist das leider ganz anders. Wir können nicht auf den Staat verzichten und ihn auch nicht teilweise auflösen. Er ist eine notwendige Einrichtung der Allgemeinheit. Deshalb gilt der Grundsatz, dass der gesamte Staat mit all seinen Möglichkeiten für alle staatlichen Schulden haftet. Staatlich verbriefte Schulden bekommen daher auch von den großen Rating Agenturen immer die Höchstnote auch wenn sie auf das unproduktivste Unternehmen in unserer Gesellschaft gezogen sind, dass zudem noch schlecht gemanagt wird. Das ist einerseits gut, weil es dem Staat günstige Zinssätze garantiert, andererseits außerordentlich schlecht, weil die Abwärtsspirale unaufhaltsam erscheint. Gleichwohl könnte man sich fragen, ob man nicht wenigstens Teilen des Staates ein Konkursrecht geben sollte. Wenn der Staat zum Beispiel seine Kredite jeweils den Ausgaben zuordnen würde und die Kredite, mit denen die Subventionen für den Bremer Spacepark bezahlt wurden, an den Spacepark gekoppelt gewesen wären. Mit seiner Pleite hätte das Land Bremen auch seine Schulden verringert.

AUCH VERBRAUCHER STERBEN NICHT – ABER IHRE SCHULDEN

Da der Staat anders als Ltd, AG und GmbH nicht sterben darf, muss er sich ein anderes Vorbild nehmen: die Verbraucher. Die können auch nicht einfach sterben, nur weil sie überschuldet sind und dann ihre Schulden ins Grab mitnehmen. Trotzdem erkennt das Gesetz auch für sie an, dass sie keinen Nutzen mehr ziehen und daher verbesserte Bedingungen erhalten, um die Zinszahlungen los zu werden und sich sogar endgültig von den Schulden zu befreien.

Das erste Prinzip ist in §496 BGB verankert. Bei Zahlungsproblemen im Verzug gilt das statt des Einkonten das DreiKontenSystem. Kapital, Zinsen und Zinseszinsen werden getrennt verbucht, dürfen sich nicht mehr vermischen. Die Zinshöhen sind begrenzt. Das Kapital verzinst sich nur noch mit dem Satz, den das Geld den Kreditgeber selber kostet. Er soll nichts mehr an dem Zahlungsunfüähigen verdienen. Der Gesetzgeber glaubte, dies sei bei 5% über dem Basiszinssatz der Fall. Das ist wohl weit überschätzt aber immerhin viel weniger, als vorher. Die unbezahlten Zinsen aber verzinsen sich nur noch mit 4% p.A., was einmal sehr wenig war, inzwischen aber nicht mehr, was der Gesetzgeber durch Absenkung berücksichtigen müsste. Die Zinsen auf die Zinsen verzinsen sich dagegen gar nicht mehr. Der Satz, jedes geschuldete Kapital verzinst sich immer zu Marktbedingungen ist damit durchbrochen. Unverdientes Kapital verzinst sich nur noch gering oder gar nicht.

Die entscheidende Schuldnerschutzregel im DreiKontenSystem ist aber die Zahlungsverrechnungsregel. Alles was der Schuldner zahlt, geht zuerst auf das hochverzinsliche Kapitalkonto. Auch der insolvente Schuldner erhält damit die Chance einer Schuldentilgung und steigt nicht wie Sysiphos immer wieder den Zinsberg hinauf. Die zweite Regel ist die Verbraucherinsolvenz. Wo kein Geld mehr ist, erhält der Gläubiger nur noch sechs Jahre von dem, was nicht unbedingt gebraucht ist. Die restlichen Schulden verfallen genauso, als ob der SChuldner juristisch gestorben wäre.

AUCH BERLIN BRAUCHT VERBRAUCHERSCHUTZ – DAS DREI-KONTEN-SYSTEM

Der Staat ist die Form, in der die Bürger kollektiv konsumieren. Ob sie Steuern bezahlen und in eine freie Schule oder keine Steuern bezahlen und dafür eine Privatschule aufsuchen, ist letztlich gleich. Konsum kostet Geld und wo der Konsum nicht mehr frei zur Verfügung gestellt wird, muss der Verbraucher doppelt bezahlen. Für die Sozialhilfeempfänger Berlins ist die Schuld der Stadt wie eine eigene Schuld. Deshalb sollte man auch überlegen, die Regelungen über die Zahlungsunfähigkeit beim Verbraucher auch auf das Land anzuwenden.

Fangen wir mit den drei Konten an. Buchen wir die Schulden Berlins auf das erste Konto und lassen wir Berlin jedes Jahr 2,4 Milliarden Euro tilgen.

Nach 25 Jahren hätte das Land seine Primärschuld vollständig getilgt. Sie würden dann keine Zinsen mehr hervorbringen. Das Zinskonto wäre dann allerdings auf 31,7 Milliarden aufgelaufen zudem noch Zinseszinsen von knapp 1,3 Milliarden kämen, so dass insgesamt die Schuld bei 33 Milliarden stünde, aber nur noch mit dem gesetzlich verordneten Zinssatz verzinst würden. Das Land hätte im Gegensatz zu jetzt, wo seine Schulden nach 25 Jahren immer noch bei 61 Milliarden stünden, seine Schuld halbiert.

Dies würde wenigstens die Möglichkeit der Gläubiger schmälern, auch an uneinbringlichen Krediten für die Öffentliche Hand weiter unbegrenzt zu verdienen. Dabei sollte der Gesetzgeber auch jetzt schon den § 497 insoweit reformieren, dass auch der Zinssatz für Zinseszinsen entsprechend fluktuiert und herabgesetzt wird, wenn wir eine Niedrigzinsphase haben. 4 % sind sicherlich viel zu hoch dafür, dass hier Zinsen auf Zinsen für verlorenes Geld gezahlt wird.

Auch das Prinzip des Verbraucherkonkurses könnte angewandt werden, wenn die Kredite nicht mehr pauschal sondern für bestimmte Bereiche der öffentlichen Daseinvorsorge vergeben würden. Dann könnte dieser Bereich ein Insolvenzverfahren beantragen und seine Zahlungen für die nächsten 6 Jahre auf das beschränken, was dieser Bereich erübrigen kann. Einen Anfang wollte NRW machen, als es die Universitäten finanziell verselbständigte und sie mit dem Konkurs bedrohte. Sie haben es falsch verstanden. Insgesamt wäre der Konkurs eine Wohltat, weil er verhindern würde, dass wir mit unserem Sozialund Bildungshaushalt totes Kapital in der Privatwirtschaft weiter verzinsen müssen.

EINE KONKURSMÖGLICHKEIT DES STAATES HÄTTE KORRUPTION IN BERLIN VERHINDERT

Die Schuldenkrise der Öffentlichen Hand ist nicht nur ein Problem der Öffentlichen Hand sondern unseres Wirtschaftsystems, das im Kredit nicht unterscheidet, ob das Geld noch vorhanden ist oder irgendeinmal in der Vergangenheit verloren ging. In Berlin wie anderswo werden durch persönliche Absprachen in Seilschaften zwischen Wirtschaft und Politik Milliardenbeträge der Bürger über das Kreditsystem verschoben. Der Staat bezahlt Unsummen für nichts, die er sich bei Banken leiht. Wenn das Nichts eine GmbH oder AG wäre, hätte er keinen Cent bekommen. So aber verpfändet er die Existenz seiner Bürger, aus denen er Bürgen macht. Die Kreditgeber können umso sorgloser auf die Prüfung der Kreditwürdigkeit verzichten und ins Kommunalkreditgeschäft einsteigen.

Ein Insolvenzschutzsystem würde alle mit an der Verantwortung beteiligen und das Kontrollpotential der Wirtschaft für die Staatstätigkeit eröffnen. Wenn wir nicht eine Lösung für die Kredite an die Öffentliche Hand finden, werden unsere Steuern eines Tages nur noch aus Zinszahlungen bestehen.

AMTLICHE L E I T S Ä T Z E ZUM URTEIL DES ZWEITEN SENATS DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS VOM 19. OKTOBER 2006 2 BVF 3/03

1. Ergänzungszuweisungen des Bundes gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG sind abschließender Bestandteil des mehrstufigen Systems zur Verteilung des Finanzaufkommens im Bundesstaat. Diese Verteilung zielt insgesamt darauf ab, Bund und Ländern die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben in staatlicher Eigenständigkeit und Eigenverantwortung finanziell zu ermöglichen.

2. Sanierungspflichten des Bundes und korrespondierende Ansprüche eines Not leidenden Landes erweisen sich nach Zweck und Systematik des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG als Fremdkörper innerhalb des geltenden bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Sanierung eines Not leidenden Landeshaushalts unterliegen einem strengen UltimaRatioPrinzip.

a) Sanierungshilfen sind nur dann verfassungsrechtlich zulässig und geboten, wenn die Haushaltsnotlage eines Landes relativ im Verhältnis zu den übrigen Ländern als extrem zu werten ist, und absolut nach dem Maßstab der dem Land ver fassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben ein so extremes Ausmaß erreicht hat, dass ein bundesstaatlicher Notstand eingetreten ist.

b) Ein bundesstaatlicher Notstand im Sinne einer nicht ohne fremde Hilfe abzuwehrenden Existenzbedrohung des Landes als verfassungsgerecht handlungsfähigen Trägers staatlicher Aufgaben setzt voraus, dass das Land alle ihm verfügbaren Möglichkeiten der Abhilfe erschöpft hat, so dass sich eine Bundeshilfe als einzig verbliebener Ausweg darstellt.