Pandemie verschärft Situation für Überschuldete
  • Covid-19 als Katalysator von Ungleichheit und von der Ver- in die Überschuldung
  • Finanzielle Auswirkungen der Pandemie zeigen sich verzögert
  • Bevor Menschen die Schuldnerberatung aufsuchen, werden alle anderen finanziellen Mittel ausgeschöpft
  • Schuldnerberatungen am Limit – Auswirkungen dort deutlich spürbar

6,85 Millionen Menschen in Deutschland sind überschuldet. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl leicht rückläufig (2019 6,92). „Wie bei der Finanzkrise 2007/2008 ist auch bei der globalen Gesundheitskrise damit zu rechnen, dass sich die Auswirkungen auf die Überschuldungsstatistik mit einer Verzögerung von rund zwei Jahren zeigen werden“, betont Dr. Sally Peters, Geschäftsführerin des Instituts für Finanzdienstleistungen (iff) in Hamburg. Seit 2006 veröffentlicht das iff zusammen mit Deutschland im Plus – der Stiftung für private Überschuldungsprävention den Überschuldungsreport.

„Viele Menschen mit finanziellen Einbußen nutzen erst alle anderen finanziellen Mittel, bevor sie eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchen“, erklärt Dr. Peters.

Ein Blick auf die Überschuldungsgründe zeigt, dass 45 Prozent der Überschuldungsgründe von den Betroffenen nicht beeinflussbar sind. Dazu zählen Ereignisse wie Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit (22,7 Prozent; Vj.: 19 Prozent), Scheidung (9,74 Prozent; Vj.: 9,62 Prozent) oder Krankheit (11,22 Prozent; Vj: 10,89 Prozent). „Vor dem Hintergrund, dass Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren ein Hauptgrund für Überschuldung war und dies auch für 2020 bestätigt wird, ist zu befürchten, dass sich die Folgen der Corona-Pandemie in den kommenden Jahren in steigenden Überschuldungszahlen und einer steigenden Überschuldungstiefe niederschlagen werden“, betont Dr. Peters.

Besonders gravierend: 11,36 Prozent der Menschen sind auf Grund von Einkommensarmut in die Überschuldung gerutscht. Dieser Wert hat seit Jahren zugenommen (zum Vergleich 2011: 3,61 Prozent).

Der aktuelle Überschuldungsreport zeigt: Die Ratsuchenden in den Beratungsstellen verfügen im Mittel über ein Einkommen, welches signifikant unterhalb der Armutsschwelle liegt. Bei der Notwendigkeit zusätzlicher Anschaffungen und kurzfristigem Einkommensausfall kann die Höhe des Einkommens schnell zu einer finanziellen Überlastungssituation führen.

Nahezu jede fünfte (18,59 Prozent) Überschuldung wäre dem Report zufolge über alle Altersgruppen vermeidbar gewesen. Dazu zählen ursächlich Konsumverhalten (8,69 Prozent), fehlende finanzielle Allgemeinbildung (3,61 Prozent), unwirtschaftliche Haushaltsführung (3,39 Prozent) und Straffälligkeit (2,2 Prozent). Bei den unter-25-Jährigen spitzt sich dieses Verhältnis noch zu. Allein fehlende finanzielle Bildung ist in jedem zehnten Fall (9,86 Prozent) die Überschuldungsursache. „Dabei ist das Kennen der eigenen Finanzen und damit das Verstehen des eigenen Limits im digitalen Shopping wichtiger denn je. Vielmehr noch: Der Überblick über die eigenen Finanzen ist Lebenskompetenz, weshalb wir mit der Stiftung Deutschland im Plus möglichst früh ansetzen und Präventionsangebote bereits ab der 8. Klasse anbieten“, betont Philipp Blomeyer, Vorstand der Stiftung Deutschland im Plus. „Gerade unsere interaktiven Angebote nehmen Ängste beim Tabuthema Geld und bieten jungen Menschen Tipps und Tools, um finanzfit in das Leben zu starten.“

Zu den anderen Ursachen von Überschuldungen zählen Sucht, Haushaltsgründung bzw. Geburt eines Kindes und unzureichende Kredit- bzw. Bürgschaftsberatung, die in einem Viertel (27,54 Prozent) der Fälle ursächlich waren. In 8,77 Prozent der Fälle ist die Hauptursache eine gescheiterte Selbstständigkeit.

Foto: Seventyfour – stock.adobe.com

 

Deckblatt_ueberschuldungsreport2021

 

Der Überschuldungsreport

Der iff-Überschuldungsreport in Kooperation mit der Stiftung Deutschland im Plus ist eine jährlich erscheinende bundesweite Studie zur Situation überschuldeter Haushalte in Deutschland, die Unterstützung der Schuldnerberatungsstellen in Anspruch nehmen. Ziel der Studie ist es, den beteiligten gesellschaftlichen Gruppen aus Politik, Verwaltung und Schuldnerberatung, den betroffenen Haushalten und den Anbietern von Finanzdienstleistungen belastbare Daten zur Verfügung zu stellen, um gemeinsame Lösungen dafür zu finden, das Überschuldungsproblem zu entgegenzuwirken und die negativen Folgen von Überschuldung zu verringern.

Der Überschuldungsreport erscheint seit 2006. Der diesjährige iff-Überschuldungsreport beruht auf einer weiter vergrößerten Datenbasis von mehr als 160.376 Haushalte in ganz Deutschland. Ausgewertet wurden die anonymisierten Daten von 68 Beratungsstellen bundesweit. Die Daten sind prozessgeneriert, sie wurden während des Beratungsprozesses in der Schuldnerberatungsstelle mit Hilfe der Schuldnerberatungssoftware CAWIN des iff dokumentiert, zusammengefasst und für die statistischen Auswertungen aufbereitet. Die Ergebnisse bilden damit ein belastbares Bild zur Lage der Ratsuchenden von Schuldnerberatungsstellen ab und schaffen Transparenz für die Ab- und Herleitung praktikabler Handlungsempfehlungen.

Der vollständige Bericht ist im Internet unter http://www.iff-ueberschuldungsreport.de abrufbar.

 

institut für finanzdienstleistungen e. V. (iff)

Das institut für finanzdienstleistungen e. V. (iff) ist ein gemeinnütziges Forschungsinstitut, das seit über 30 Jahren für öffentliche Auftraggeber, Verbraucherverbände und privatwirtschaftliche Unternehmen auf nationaler und internationaler Ebene forscht. Das iff setzt sich seit seiner Gründung für den Zugang zu Finanzdienstleistungen ein und konzentriert sich vor allem auf finanziell verletzliche Verbraucher, insbesondere auf Alleinselbständige sowie überschuldete Verbraucher.

Mehr Informationen unter: www.iff-hamburg.de

 

„Deutschland im Plus“ – Die Stiftung für private Überschuldungsprävention

Die Stiftung „Deutschland im Plus“ engagiert sich für die private Überschuldungsprävention in Deutschland. Zu den Aufgaben zählen Bildungsmaßnahmen für Jugendliche, Bereitstellung von Informationen, Forschungsförderung sowie konkrete Beratung für Hilfesuchende. Mehr Informationen unter: www.deutschland-im-plus.de

Ansprechpartnerinnen für die Presse

Für den iff-Überschuldungsreport: Frau Dr. Sally Peters Tel: 040 30 96 91-11 und E-Mail: sally.peters@iff-hamburg.de

Zu den Aktivitäten der Stiftung „Deutschland im Plus“: Frau Pamela Sendes Tel: 0911 / 9234 950 und E-Mail: info@deutschland-im-plus.de