Kommentar zu: Udo Reifner/Anne Schelhowe, Financial Education, in: Journal of Social Science Education (JSSE) 2010 Vol. 9, N° 2, 2010, pp. 32–42; Udo Reifner, Das Geld, Bd. 2, Kap. E 3 „Dummheit: Finanzielles Analphabetentum“.
von Reinhold Hedtke
Udo Reifner gehört zu den ganz wenigen rechts- und sozialwissenschaftlichen Experten im Feld der Finanzdienstleistungen und Finanzindustrie, die gegenüber der allgegenwärtigen Finanzbildungseuphorie, deren schillernden Drittmittelverlockungen und happigen Honoraren unbeirrt am kritisch-skeptischen Habitus des Wissenschaftlers festhalten. Er prüft immer zuerst, was wir wissenschaftlich wirklich wissen und was dagegen nur cheap talk ist. Das sollte Routine sein, ist es aber nicht. Reifner fragt auch beharrlich und mit nüchternem Blick nach den politischen Hintergründen des anhaltenden Hypes und erforscht die Interessenlagen, die Logik der Begünstigung und Benachteiligung, die beabsichtigten Wirkungen und unbeabsichtigten Nebenfolgen. Geradezu exemplarisch kommt dies im Abschnitt 3, „Dummheit: Finanzielles Analphabetentum“, des Kapitels E „Geld Moral: Schuld, Gier und Dummheit“ im Band 2 seines Werkes „Das Geld: Soziologie des Geldes“ zum Ausdruck. Dazu im Folgenden wenige Anmerkungen.
Nichts- und Wenigwisser
Fangen wir mit etwas besonders Wichtigem an, der Bildung. Immer wieder ist der öffentliche Aufschrei groß, wenn irgendjemand mit irgendeiner Befragung irgendwelche Wissenslücken über finanzielle Dinge bei irgendeiner Bevölkerungsgruppe entdeckt.
Dabei zeigen Wissenstests nur, was man sowieso schon weiß: Die meisten Menschen wissen in fast allen Domänen wenig bis nichts. Die Welt ist bevölkert von Nichtwissern, von mathematischen, physikalischen, juristischen geographischen, geschichtlichen, politischen Analphabeten – und eben auch von finanziellen Nichts- und Wenigwissern.
Versteht jemand den Zinseszins nicht, dann fehlt ihm merkwürdigerweise finanzielle Bildung – und nicht mathematische Bildung. So werden die Selbstverständlichkeiten des Faches Mathematik willkürlich zu Aufgaben einer separaten Finanzbildung falschetikettiert, um deren bildungspolitische Dringlichkeit „nachzuweisen“.
Was solchen alarmistischen Befunden aber immer fehlt, sind zwei Essentials, ohne die eine Debatte über Finanzwissen und Finanzbildung völlig sinnfrei bleibt: Erstens legen sie keine Rechenschaft über die Relevanz des getesteten Wissens ab und zweitens vermeiden sie jeglichen Vergleich zum Wissen in anderen Domänen und dessen Relevanz. So kann man weder sehen, wozu das fehlende Wissen gut sein soll, noch ob das angebliche Nichtwissen ein besonders schwerer Fall oder nur ein weiteres Exempel für die allseits vorhandene Unkenntnis ist.
Das Aufrechterhalten genau dieser beiden Formen des Nichtwissens über Finanzwissen ist aber die Voraussetzung dafür, dass man finanzielle Wissenstests auf einer Skala von unbekümmert bis skrupellos (finanz-)industriepolitisch und bildungspolitisch ausbeuten kann. Über die Optionen, sich auf dem weiten Feld der Finanzbildung institutionell oder persönlich zu bereichern, müssen wir hier schweigen, weil maximal mögliche Intransparenz der Interessenverflechtungen zwischen Finanzindustrie, Wissenschaft und Wissenschaftlern offensichtlich zum branchenüblichen Ethikkodex gehört.
Praktisches Wissen und instrumentelle Kompetenzen
Beim ersten Typ dieser Ausbeutung geht es um eine funktionalistische Umdeutung des Bildungsbegriffs, um einen gesellschaftspolitischen Kampf um die Bedeutung von Bildung. Die sogenannte Finanzbildung dient als exemplarisches Anwendungsfeld für die Strategie, Bildung auf mehr oder weniger praktisches Wissen und instrumentelle Kompetenz zu reduzieren. Beispielhaft verdeutlicht das der Finanzbildungsbegriff des Oldenburger Instituts für Ökonomische Bildung (IÖB):
„Finanzielle Allgemeinbildung bezeichnet den Prozess zur Entwicklung von Finanzkompetenz. Diese wird als Summe von Einstellungen, Motivation, Wertvorstellungen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, die es einem Individuum ermöglichen, sich kompetent und mündig auf dem Finanzdienstleistungsmarkt zu orientieren, es befähigen, seine privaten Finanzen zu organisieren, entsprechend zu handeln und sich an der Analyse und Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen des Finanzdienstleistungsbereichs zu beteiligen.“ (Hans Kaminski, Stephan Friebel 2012: Arbeitspapier „Finanzielle Allgemeinbildung als Bestandteil der ökonomischen Bildung. Oldenburg, S. 6).
Das ist ein bemerkenswert bescheidener Bildungsbegriff, der das übliche Bildungsverständnis auf den Kopf stellt: Bildung verkümmert hier zu einem Prozess, der mit Kompetenz als Ergebnis endet. Bildung mutiert so zum Mittel für Kompetenz, eine finanzielle Allgemeinbildung (!) schrumpft zum Instrument für die private Finanzorganisations- und Finanzdienstleistungsmarktkompetenz. Wenn man sich darauf beschränken will – was ja nicht illegitim ist –, muss man das offen und ehrlich benennen, wie es etwa die Stiftung Warentest macht, wenn sie Schulprojekte über „praktisches ökonomisches Wissen rund um Finanzprodukte“ anbietet. Dies als „Finanzbildung“ zu überhöhen, überzeugt nicht.
Wie viel weiter geht dagegen der einschlägige Bildungsanspruch bei Udo Reifner: „Finanzielle Allgemeinbildung müsste Konsumenten die Fähigkeit vermitteln, ihre eigenen Bedürfnisse und Ressourcen zu erkennen, sie in Bezug zu den Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedung durch marktmäßige Finanzdienstleistungsangebote zu setzen und bei ihnen Verständnis dafür erzeugen, dass sie ihre Rechte, ihre Marktmacht und politischen Einfluss einsetzen müssen, damit Finanzdienstleistungen für sie einen Nutzen bringen.“ (Reifner, Das Geld, Bd. 2, 129).
Wenn man die Abwertung und Instrumentalisierung von Bildung von Bildung nicht einfach zur Kenntnis nehmen will, muss man sagen können, was denn eine Bildung, die diesen Namen auch verdient, im Themenfeld Finanzen wäre.
Was wäre Bildung?
Bildung, daran ist zunächst festzuhalten, hat etwas mit der Person zu tun, sie betrifft, berührt, bestimmt, vertieft, verändert die Persönlichkeit und verbessert und erweitert nicht nur ihr praktisches Wissen und Können. Dafür reicht der Begriff „Lernen“ völlig aus.
Personale Bildung bezieht sich auf drei Verhältnisse der Person, auf ihre Selbstverhältnisse, Weltverhältnisse und Sozialverhältnisse (vgl. z. B. Winfried Marotzki 1990, Entwurf einer strukturalen Bildungstheorie. Biographietheoretische Auslegung von Bildungsprozessen in hochkomplexen Gesellschaften. Weinheim). In einer Finanzbildung, die tatsächlich Bildung wäre, geht es beispielsweise darum, das eigene Selbstverhältnis zu entwickeln und Fragen zu diskutieren wie z. B.: Was macht Geld mit mir? Wie will, wie soll, wie muss ich mit Geld umgehen? Es geht dann darum, eine eigene Weltorientierung zum Geld aufbauen und Fragen zu reflektieren wie z. B.: Wie funktioniert, was bewirkt Geld in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik? Was ist und wie beurteile ich die „Finanzialisierung“ der Wirtschaft und meines Alltagslebens? Kann und will ich das so lassen oder ändern? Und es geht um das Nachdenken über die eigenen Sozialverhältnisse mit Fragen wie z. B.: Was bedeutet Geld für meine persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Beziehungen? Kann und will ich die gesellschaftlichen Geldverhältnisse in konkreten Kontexten oder im politischen Raum ändern? Wo finde ich Verbündete dafür? Wo stehen die Gegner?
Diese Fragen spielen in der herrschenden Vorstellung von Finanzbildung (fast) keine Rolle. Was kann man daran sehen?
Funktionalistische Umdeutung von Bildung
Wir befinden uns mitten in einem grundsätzlichen Deutungskampf um Bildung, Denkweisen und Weltbilder. Er lässt sich durchaus als der vielgestaltige Versuch einer neoliberalen Umwertung der Werte und einer freiwilligen Selbstunterwerfung unter die vorgeblichen „Gesetze“ „der“ Marktwirtschaft und „der“ Märkte verstehen. Bildung dagegen birgt Reflexion, Distanz und Widerständigkeit. Bildung setzt stärker auf den Citoyen, als auf den Bourgeois. Diese Bildung aber stört das reibungslose Funktionieren als Kunde auf Märkten. Auch deshalb wird Bildung umgedeutet zu funktionalistisch gewendeter Kompetenz. Als Kompetenz gilt das, was messbar ist. Was man nicht messen kann, zählt nicht. Funktionieren wird wichtiger als Bilden. Finanzbildung verschwindet, Finanzerziehung macht sich breit.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass wir zahlreiche Vorstöße zur ökonomistischen Umprogrammierung des Denkens der Individuen erleben. Genannt seien hier nur Financial Literacy, Entrepreneurship Education und Employability Education. In diesen Ansätzen verdrängen die Instrumentalisierung des Individuums für wirtschaftspolitische Zwecke und die instrumentell motivierte Wissensvermittlung persönliche, sachlich fundierte Reflexion, etwa über grundsätzliche Fragen: Wie sehe ich mich jetzt und zukünftig in der Wirtschaft? Wie will ich mein wirtschaftliches Leben gestalten? In welches Verhältnis will ich mich zum Geld setzen?
Wenn alles Wissen und Können sowie jegliches Lernen unterschiedslos als „Bildung“ ausgezeichnet wird, dann tritt funktionalistische Gleichmacherei an die Stelle von sorgfältiger Differenzierung der Begriffe und des Begreifens. Selbstverständlich braucht Bildung Wissen und Können, sonst bleibt sie leer. Aber wie viel mehr „Bildung“ bedeutet, wie sehr sich „Bildung“ von ihrem ökonomistisch-funktionalistischem Zerrbild in der so genannten Finanzbildung un-terscheidet, bringt der Schweizer Philosoph Peter Bieri treffend zum Ausdruck:
„Bildung ist etwas, das Menschen mit sich und für sich machen: Man bildet sich. Ausbilden können uns andere, bilden kann sich jeder nur selbst. […] Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können. Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein.“ (Peter Bieri, Wie wäre es, gebildet zu sein? In: Göppel, Rolf; Lenhart, Volker; Rihm, Thomas; Schön, Bär-bel; Strittmatte-Haubold, Veronika, Hrsg., Bildung ist mehr. Heidelberg 2008, S. 13).
Wer die Unterscheidung von Lernen und Bilden, Ausbildung und Bildung gegen die allgegenwärtigen Nivellierer schützen will, der muss konsequent den Begriff Finanzausbildung, Finanzwissen oder Finanzlernen für fast alles verwenden, was sich fälschlicherweise unter dem überhöhten Begriff Finanzbildung oder gar Finanzielle Allgemeinbildung versammelt. Das wäre wenigstens schon mal ein Beitrag zu mehr Klarheit und würde das vielfach eingeklagte Finanzwissen und -können auf dem Niveau verorten, auf das es gehört. Dann kann man auch sinnvoll darüber sprechen, was denn eine Finanzbildung wäre, die die Bezeichnung Bildung auch wirklich verdient. Wie gesagt, Wissen und Können gehört schon dazu, reicht aber nicht.
Finanzindustrielle Instrumentalisierung von „Bildung“
„Bildung ist der beste Anlegerschutz!“ Besser als mit diesem Statement des österreichischen Börsenvorstands Christoph Boschan kann man den zweiten Typ, die branchenpolitische Ausbeutung des viel beklagten finanziellen Nichtwissens, kaum auf den Punkt bringen. Dass dies kein bizarrer Einzelfall ist, belegen ähnliche Formulierungen vom österreichischen Sparkassentag. Die finanzindustrielle Interessenlage findet in der Forderung „Mehr Finanzbildung und weniger Regulatorik!“ einen geradezu klassischen Ausdruck.
Udo Reifner ordnet diese Art von Denkmuster als „weitere Subjektivierung der Kapitalismuskritik“ ein und stellt dazu lakonisch fest: „Der Markt ist gut, die Menschen sind nur nicht ausreichend in der Lage, seine Vorteile zu genießen. Sie sind einfach ausgedrückt zu dumm für den Markt. Aus den strukturellen Defiziten des Geldsystems wird eine individuelle Unfähigkeit der Menschen, dieses Geldsystem adäquat zu benutzen“ (Reifner, Das Geld, Bd. 2, 128f.).
Der Unterschied zum Mainstream der Wirtschaftsdidaktik und der Wirtschaftspädagogik könnte kaum größer sein: Deren ideologische, interessenpolitische (und finanzielle?) Nähe zur Finanzindustrie zeigt sich in der fast völligen Abwesenheit von Kritik an deren Interessen an Finanzerziehung – und in der hartnäckigen Weigerung, sich zuvörderst für die Interessen und die Bildung der Jugendlichen einzusetzen.
Bildung für die Anleger, Privilegien für die Finanzindustrie
Die eben zitierten Statements finanzindustrieller Interessenvertreter sind absurd zynisch zu-gleich. Das verdeutlicht ein rascher Vergleich. Man erinnere sich nur kurz daran, mit welchem Nachdruck global agierende Konzerne für ihre Investitionen und Anlagen von den Regierungen im Zuge der Verhandlungen um internationale Handelsabkommen einen umfassenden Schutz verlangten und verlangen – und wie sehr die Regierungen bereit waren und sind, genau das zu liefern.
Man rufe sich auch in Erinnerung, dass auch die Finanzindustrie eine Sondergerichtsbarkeit mit speziellen internationalen Schiedsgerichten für ihren Anlegerschutz fordert und sich keineswegs mit dem Rechtsweg der normalen nationalen und internationalen Judikative für jedermann zufriedengibt. Man bedenke, dass sie für sich als institutionelle Anleger besonderen Schutz verlangen, obwohl sie laufend auf umfangreiche, hochprofessionelle und organisierte Expertise zurückgreifen können und obwohl sie in der Rolle von Experten und Lobbyisten einen privilegierten Zugang zu Regierungen und politischen Parteien haben.
Dagegen sollen die privaten, schlecht informierten, unprofessionellen und den Finanzprodukteanbietern notorisch unterlegenen Gelegenheitsanleger ihre geringfügigen Anlagen nur mit Mitteln der Bildung schützen! So verhöhnt man die Kleininvestorin und ignoriert ihre objektive Situation und Interessenlagen. Eine Finanzbildung, die den Namen auch nur im Ansatz verdient, bedeutet sozioökonomische und politische Aufklärung über solche Interessenstrukturen und politischen Strategien der Finanzindustrie. Das aber ist mit der so genannten Finanzbildung in aller Regel nicht gemeint. Aufklärung? Fehlanzeige!
Wenig wirtschaftliches Wissen
Aber nicht nur um die politisch-ökonomische Ethik, sondern auch um die ökonomische Bildung der finanzindustriellen Führungskräfte scheint es schlecht bestellt zu sein. Anscheinend verfügen sie nicht über einschlägige wirtschaftswissenschaftliche Kompetenzen, nutzen sie nicht oder sprechen nicht darüber. Ökonomen jedenfalls setzen bekanntlich mehrheitlich nicht auf Umerziehung von Einzelpersonen, um die Wirtschaftswelt zu verbessern, sondern sie empfehlen meist angemessene Regeln und Institutionen, Transparenz und Kontrolle, Anreize und Sanktionen und vor allem klare Haftung für die Folgen der eigenen Entscheidungen. Nebenbei bemerkt: Die Finanzkrise hat eindrücklich demonstriert, dass das Haftungsprinzip für die Finanzindustrie – jedenfalls in Krisen, also dann, wenn es darauf ankommt – aus guten oder schlechten Gründen weitgehend außer Kraft gesetzt und durch die Haftung von Staat und Gesellschaft ersetzt wird.
Auch Verhaltensökonomen und Wirtschaftspsychologen erwarten wenig Wirkung vom Wissen auf das tatsächliche Handeln von individuellen Akteuren. So gab beispielsweise der Verhaltensökonomen Dan Ariely einem Buch den Titel: „Denken nützt zwar, hilft aber wenig. Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen“ (2008). Die Ökonomen George A. Akerlof und Robert J. Shiller titelten bekanntlich „animal spirits – Wie Wirtschaft wirklich funktioniert“ (2009). Die Verhaltensökonomik zeigt empirisch, dass animal spirits und unvernünftige Entscheidungen insbesondere bei Geld und Finanzentscheidungen greifen.
Wir wissen, dass man mit individueller Finanzbildung wenig bis gar nichts gegen Komplexität und Überforderung ausrichten kann, beide nehmen schneller zu, als man mit dem schulischen Wissenserwerb hinterherkommen kann. Eins aber ist sicher: Die falsche Sicherheit des Halbwissens nützt der Finanzindustrie. Auch darauf hat Udo Reifner hingewiesen: Wer mit Finanzprodukten vertraut gemacht wurde, nimmt Finanzdienstleistungen „sogar unbekümmerter und mit weniger Zurückhaltung“ in Anspruch als die, die nicht informiert wurden. Solche selbstsicher-scheinkompetenten Kunden dürften ein besonders lukratives Publikum für die Finanzindustrie sein.
Von der Finanzerziehung zur Finanzbildung
Wie dünn und ambivalent die empirische Evidenz für die Effekte von Finanzerziehung ist, zeigt die US-amerikanische Wissenschaftlerin Lauren E. Willis, Rechtswissenschaftlerin wie Udo Reifner, in einem luziden Review-Essay „Finance-Informed Citizens, Citizen-Informed Finance“ im Journal of Social Science Education (Heft 4-2017). Finanzerziehung hat sehr geringe Auswirkungen auf den finanziellen Wohlstand derer, die sie genossen haben.
Sie belegt, dass die Finanzerziehung nicht auch eine politische Aufgabe erfüllt: sie verschweigt die krasse und wachsende finanzielle Ungleichheit und tut so, als sei jeder und jede seines und ihres finanziellen Glückes Schmied. Willis betont: “Teaching people money management skills, when done within a context of understanding that these skills are required only because some societies today have adopted social and regulatory policies that in turn make these skills necessary, can illuminate the fairness or unfairness, efficiency or inefficiency, and wisdom or absurdity of those policies.”
Was auf der Agenda steht, etwa der bildungspolitisch höchst einflussreichen OECD, ist die finanzielle Umerziehung (financial re-education) der Bevölkerung. Mit bildungspolitische Strategien und finanzindustrielle Kampagnen sollen die Bürgerinnen und Bürger auf Investorenmentalität umgepolt werden, sie sollen als unternehmerisches Selbst in den Finanzkapitalismus integriert werden. Die private kapitalmarktorientierte Altersvorsorge befördert Individualisierung und Eigeninteresse statt Solidarität und kollektive Lösungen.
Der reduzierte Bildungsbegriff befördert die Umprogrammierung auf instrumentalistisches Denken. Zugleich trägt die verkürzte Finanzerziehung wesentlich zur Verdunkelung der politischen Hintergründe, der finanzindustriellen Interessenlagen und der Finanzindustriepolitik bei.
Geht es dagegen um vertiefte Finanzbildung statt um verflachte Finanzerziehung, dann kommen grundlegendere Fragen zur Sprache. Die Jugendlichen lernen dann, so Lauren Willis, “how various societies at various times have employed diverse approaches to the support of people past working-age, she will have the opportunity to appreciate the tradeoffs among different policy choices”. In der Finanzbildung geht dann es um politische Alternativen, die Jugendlichen überwinden die Borniertheit des Bourgeois und nehmen mit der Souveränität des Citoyen die finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft in den Blick und in die Hand. „Financial education must impress upon students their responsibility and their power to affect, through political actions, society’s financial order.” Neu zu ordnen sind dann weniger die persönlichen Finanzverhältnisse, als die Verhältnisse von Finanzindustrie und Finanzialisierung. Finanzbildung ist zuallererst politische Bildung.