Kommentar zu: Reifner, Udo, Das Geld 1: Ökonomie des Geldes – Kooperation und Akkumulation
von Doris Neuberger
Geld als Mittel der Kooperation und Akkumulation (Reifner 2017a) spielt in den Standard-Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre (kurz: VWL) keine Rolle, zumindest wird man beide Begriffe dort vergeblich suchen. Allerdings heißt „Kooperation“ in der Sprache der Ökonomen „Arbeitsteilung“, und „Akkumulation von Geld“ könnte auch „Nachfrage nach Geld“ lauten. Mit der Erklärung von Geld als Instrument zur Erleichterung von Arbeitsteilung und der Geldnachfrage setzen sich alle VWL-Lehrbücher der Geldtheorie auseinander. Die „Ökonomie des Geldes“ von Udo Reifner unterscheidet sich von diesen aber nicht nur semantisch. Dortige Aussagen werden vielmehr grundlegend hinterfragt und zum Teil vom Kopf auf die Füße gestellt (siehe u.a. Tabelle). Wie kommt es zu diesen Gegensätzen und welche Implikationen ergeben sich daraus für Theorie und Praxis?
Geld als Mittel der Kooperation oder Arbeitsteilung
In den Standard-Lehrbüchern der Geldtheorie wird Geld über seine Funktionen definiert: alles, was die Funktionen eines Tausch- oder Zahlungsmittels, Wertaufbewahrungsmittels und/oder einer Recheneinheit erfüllt, kann als Geld angesehen werden. Insbesondere die Erfüllung der Tauschmittelfunktion erleichtert Arbeitsteilung. Da nicht jeder die von ihm benötigten oder gewünschten Konsumgüter oder Dienstleistungen selbst produziert, ist er auf den Tausch mit anderen Wirtschaftseinheiten angewiesen. „Eine arbeitsteilige Wirtschaft wird deshalb eine Tauschwirtschaft sein. Eine Tauschwirtschaft wiederum erfordert, will sie ohne größere Störungen funktionieren, ein allgemein akzeptiertes Zahlungsmedium; sie muss also bei fortgeschrittener Arbeitsteilung eine Geldwirtschaft sein“ (Jarchow 1998, S. 1). Oft wird argumentiert, dass die Menschen aus Effizienzgründen zur Erleichterung der Arbeitsteilung ein allgemeines Tauschmittel vereinbart oder erfunden hätten, um „…die transaktionsbedingt engen Grenzen der Naturaltauschwirtschaft“ (Görgens et al. 2014, S. 82) zu überwinden. Dass diese Konventionstheorie des Geldes heute als widerlegt angesehen werden kann, wird in VWL-Lehrbüchern selten erwähnt (z.B. Issing 2014, S. 1).
Reifners multidisziplinäre „Ökonomie des Geldes“ dagegen liefert historische und ethnologische Belege für die umgekehrte Sichtweise, dass Geld nicht aus dem individuellen Tausch, sondern aus der Abgabe für die Gemeinschaft entstand. Geld war vorhanden, bevor es das Tauschdenken gab und hat den Tauschhandel erst ermöglicht. „Die Notwendigkeit des Geldes entspringt daher nicht dem synallagmatischen Tausch, sondern dieser Tausch ermöglicht es, das für die Abgaben notwendige Geld in der Form zu erwirtschaften, wie es die Gemeinschaft braucht“ (Reifner 2017a, S. 85). So sei auch die Ansicht der Mainstream VWL, dass Egoismus und Gewinnstreben beim Tausch in der Natur des Menschen liegen, falsch. Denn diese haben sich wohl erst mit der wirtschaftlichen Entwicklung herausgebildet, wobei das Individuum zunehmend an die Stelle der Gemeinschaft trat. Selbst zu Lebzeiten Adam Smiths gab es noch keine Wettbewerbsmärkte, da die Handwerker an Zünfte gebunden waren. Das in VWL-Lehrbüchern gepriesene Gewinnstreben als Triebfeder von Metzger, Brauer und Bäcker beschreibt nicht die Realität dieser Zeit, sondern war nur eine idealtypische Annahme Adam Smiths.
So steht auch die Standardannahme der Gewinn- und Nutzenmaximierung in der modernen mikroökonomischen Theorie im Gegensatz zu dem eigentlichen, ursprünglichen Ziel des Wirtschaftens, dem Streben nach dem guten Leben (Aristoteles). Reifner kritisiert, dass damit Wirtschaft auf durch Geld vermittelte Geschäfte, Tausch auf Besitzindividualismus und die menschlichen Interessen auf Gewinnerzielung und Geldgewinn reduziert werden (Reifner 2017a, S. 87). Zwar ließe sich das Streben nach dem guten Leben mathematisch auch als Maximierung einer nicht nur vom Konsum abhängigen Nutzenfunktion abbilden, jedoch würde dies implizieren, dass menschliche Werte quantifizierbar sind. Genau darin sieht Reifner ein Problem, denn damit wird unsere Fähigkeit, in Werten zu denken, reduziert. Zwar wird „mit dem Begriff der Nachhaltigkeit versucht, etwas von dem verlorenen Terrain zurückzugewinnen und den im Tauschdenken nicht fassbaren Werten einen wirtschaftlichen Ausdruck zu verleihen. Doch unsere wirtschaftspolitischen Konzepte und Techniken der Steuerung hat es noch nicht erreicht. Im Gegenteil, durch den Handel mit Verschmutzungsrechten (CO2-Ausstoß) bekam sogar der ethische und moralische Wert der Verantwortung für die Zukunft der Menschheit einen Preis und wurde käuflich“ (Reifner 2017a, S. 89).
Reifner erkennt zwar an, dass das Tauschdenken mit Inbesitznahme des Geldes die Kooperationsmöglichkeiten und damit das Wirtschaftswachstum stark gesteigert hat, kritisiert aber die einseitige Sichtweise des dabei verwendeten Tauschbegriffs. „Aristoteles wusste noch, dass durch die Verbreitung des Geldes mit dem für ihn moralisch fragwürdigen Gegenseitigkeitsprinzip (synallagmatische Wirtschaft) ein der menschlichen Würde angemesseneres System kollektiven Gebens und Nehmens (Tauschwirtschaft) verdrängt wurde“ (Reifner 2017a, S. 87f.). Reifner fordert deshalb, dass unser Verständnis von Wirtschaft nicht auf die Marktwirtschaft reduziert werden, sondern alle Formen praktischen Wirtschaftens beinhalten sollte.
Das Denken der Ökonomen sollte sich auch nicht am Haben, sondern an der Nutzung von Geld orientieren. Eine Lehre, die das Streben nach Geld als natürlich vermittelt, erschwert uns z.B. zu erkennen, dass sich Finanzkrisen nicht nur durch ein Mehr oder Weniger an Geld, sondern auch durch eine veränderte Art seines Gebrauchs lösen lassen. „Geldvermehrung ist kein Zweck sondern nur Mittel von Wirtschaft“ (Reifner 2017c, S. 10). Die Realwirtschaft darf nicht primär als Investitionsobjekt für die Geldbesitzer verstanden werden, da erst durch sie Kooperation im Sinne einer produktiven Arbeitsteilung entsteht, woraus Geld geschöpft wird. Dabei kommt es weniger auf die Kooperation durch Tausch zu einem Zeitpunkt, sondern vielmehr auf „die ungleichzeitige Kooperation der Menschen zur Erreichung eines guten Lebens“ (Reifner 2017c, S. 9) an, die durch Kreditvergabe und –aufnahme, auch interpretierbar als Vermietung und Miete von Geld erreicht wird. Ohne Schuldner gibt es kein Geld, welches nichts anderes als eine zirkulationsfähige Forderung darstellt, deren Wert von der Nutzung des Geldes durch den Schuldner abhängt. Kredite sind wichtig, um produktive Investitionen zu ermöglichen, an deren Erträgen die Geldbesitzer teilhaben können. Die Gläubigerperspektive muss durch die Schuldnerperspektive ersetzt werden. „Dabei gibt es wohl kaum ein weniger gemeinnütziges Instrument als den verzinslichen Kredit, bei dem mit der festen Verzinsung die Produktivität unwiderleglich vermutet und die Verlustbeteiligung der Geldbesitzer ausgeschlossen ist“ (Reifner 2017b, S. 189). Eine produktive Kreditvergabe wiederum erfordert professionelle, am Gewinnprinzip orientierte Banken. Non-for-profit Alternativen wie das außerhalb des Bankensystems betriebene ideologisch motivierte Microlending, welches dies verkennen, sind dagegen zum Scheitern verurteilt. Dass diese Allokationsfunktion, d.h. Zuordnung von Kapital zu produktiven Verwendungen die wichtigste Aufgabe des Finanzsektors darstellt, wird in VWL-Lehrbüchern selten betont (z.B. Gischer et al. 2012). Dabei hatte bereits Schumpeter (1926) im Kredit den Motor der wirtschaftlichen Entwicklung gesehen.
Geldakkumulation oder -nachfrage
In den Standard-Lehrbüchern der Geldtheorie wird Geldnachfrage definiert als Wunsch, einen bestimmten Geldbetrag als Kasse oder unverzinsliche Sichteinlagen zu halten (z.B. Issing 2014, S. 22). Die theoretischen Ansätze zur Erklärung dieser Geldnachfrage unterscheiden sich danach, ob sie Geld eher als Tausch- oder eher als Wertaufbewahrungsmittel sehen. Die Klassiker der Nationalökonomie sahen Geld nur in seiner Funktion als Tausch- oder Zahlungsmittel, das sich wie ein Schleier über die Wirtschaft legt und für die Realwirtschaft neutral ist. Langfristig führt danach zu viel Geld nur zu einem Werteverfall des Geldes, d.h. Inflation. Diese Sichtweise setzt sich in makroökonomischen Modellen der Standard-VWL fort (z.B. Burda und Wyplosz 2009, S. 174ff.). So ist in den neoklassischen Gleichgewichtsmodellen Geld nur eine Art Schmiermittel zur Abwicklung realwirtschaftlicher Transaktionen, welches die Realwirtschaft nicht berührt. Auch die wesentlichen Grundlagen der mikroökonomischen Theorie kommen deshalb ohne Rückgriff auf ein Geldgut aus (Gischer et al. 2012, S. 83).
John Maynard Keynes (1936) dagegen sah in seiner Theorie der Liquiditätspräferenz Geld nicht als neutral an. Da Geld auch eine Wertaufbewahrungsfunktion erfüllt, hängt die einzelwirtschaftliche Nachfrage nach Geld von der Höhe der Verzinsung alternativer Anlagen wie festverzinslicher Wertpapiere ab. Eine Ausdehnung der Geldmenge würde bei gegebenem Volkseinkommen den Wertpapierzins senken, womit realwirtschaftliche Investitionen angeregt werden, deren Rendite („Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“) mindestens so hoch ist. Mikroökonomische Weiterentwicklungen der klassischen und keynesianischen Geldnachfragetheorien (Neoquantitätstheorie, postkeynesianische Portfoliotheorie des Geldes) haben Geld schließlich als Vermögensobjekt betrachtet, das in Konkurrenz zu allen anderen Anlageobjekten in der Finanz- und Realwirtschaft steht. In diesen Geldnachfragetheorien wird die von Reifner kritisierte Geldbesitzer- oder Gläubigerperspektive eingenommen: Geld wird nur genutzt oder gehalten, um den Konsum oder Geldbesitz zu vermehren. So wird z.B. in einem Standardlehrbuch der Geldtheorie eine wichtige Funktion des Geldes darin gesehen, „… als temporäres Kaufkraftaufbewahrungsmittel zu dienen und damit ein zeitliches Auseinanderfallen von Verkaufsakt und Kaufakt zu ermöglichen….“ (Jarchow 1998, S. 9). „Geld dient zwar als Wertaufbewahrungsmittel; andere Formen der Vermögensanlage spielen in diesem Zusammenhang jedoch eine wichtigere Rolle. So kann man Kaufkraft auch akkumulieren, indem man Sparguthaben unterhält, Wertpapiere kauft oder Sachvermögen (z.B. Land und Häuser) erwirbt…“ (Jarchow 1998, S. 3). Bei der einzelwirtschaftlichen Analyse von Kasse und Portfeuille (Jarchow 1998, S. 20ff) steht dann auch der Gesichtspunkt der Kostenminimierung, also die Effizienz der Vermögensanlage aus der Sicht des Gläubigers im Mittelpunkt. Der Ertrag aus der Nutzung des Geldes durch Kooperation zwischen Gläubiger und Schuldner wird nicht thematisiert, da die Verzinsung der alternativen Anlagemöglichkeiten als gegeben unterstellt wird.
Dass Geld aus der Kreditvergabe entsteht, wird in der Geldangebotstheorie der VWL-Lehrbücher erklärt. Dabei wird aber ebenfalls nicht die Nutzung des Geldes durch die Kreditnehmer betrachtet, sondern vielmehr das gesamtwirtschaftliche Geld- und Kreditschöpfungspotential von Bankensystemen aus der Perspektive einer Zentralbank mit dem Ziel der Geldwertstabilität. Spekulative Blasen durch Abkopplung des monetären Sektors vom realwirtschaftlichen Sektor werden entweder im Hinblick auf die Geldpolitik (z.B. Görgens et al. 2014, S. 201) oder die Effizienz von Kapitalmärkten (z.B. Burda und und Wyplosz 2009, S. 453ff.) behandelt, aber nicht im Hinblick auf unproduktive Kreditvergabe oder Schädigung der Kreditnehmer.
Schlussfolgerungen: Umdenken in Theorie und Praxis!
Das geforderte Umdenken von der Gläubiger- zur Schuldnerperspektive hat weitreichende Implikationen sowohl für die zu lehrende VWL-Theorie als auch für die Praxis der Regulierung. Der theoretische Ansatz von Reifner entspricht den geldwirtschaftlichen Modellen von Keynes und Schumpeter und steht im Gegensatz zu güterwirtschaftlichen Modellen der Neoklassik, in welchem Geld nicht vorkommt. Geld entsteht aus der Kreditaufnahme in der Realwirtschaft und ist damit endogen. Sparen ist für das Geldmarkt-Gleichgewicht irrelevant, Geld dagegen für das Gütermarkt-Gleichgewicht relevant und damit nicht neutral. Die weltweit niedrigen Zinsen lassen sich deshalb nicht durch eine Sparschwemme erklären, wie dies von Vertretern des vorherrschenden güterwirtschaftlichen Modells angenommen wird, in dem der Sparer im Mittelpunkt steht (ohne Sparen kein Investieren). Finanzkrisen und spekulative Blasen auf Finanzmärkten können nur durch das geldwirtschaftliche Modell erklärt werden, aus dem sich dann auch Empfehlungen für eine an den Ursachen ansetzende Regulierung ableiten lassen. Güterwirtschaftliche Modelle sind dagegen “… für die Abbildung der Prozesse in einem modernen Finanzsystem genauso überholt wie das Paradigma von Ptolemäus“ (Bofinger 2017).
Nach Reifner können Finanzkrisen nur dann nachhaltig vermieden werden „…, wenn man alle Finanzdienstleistungen als Derivate einfacher Kreditbeziehungen ansieht, die dessen Grundprobleme, die Nutzung fremden Kapitals bei hohem Rückzahlungs- und Nutzungsrisiko, sichtbar enthalten“ (Reifner 2017c, S.93). Die eigentlichen Opfer der Krise waren nicht die Anleger, sondern die Schuldner, welche durch Wucher geschädigt wurden. Im weiteren Sinne gehören dazu u.a. Umschuldungen, die Zinsen und Kosten in Kapital verwandeln, Ausbeutung Überschuldeter und Verbriefung leerer Forderungen. Die gegenwärtige Regulierung verkennt dies, indem sie am Verhalten der Finanzmarktakteure ansetzt, ohne die Entstehung wertloser Forderungen durch Wucher und Derivate zu verhindern. Regulatorische Eigenkapitalanforderungen können zwar helfen, risikobehaftete Geschäfte zu verteuern und die Verluste daraus durch genügend Geldkapital zu kompensieren. Finanzmarktgeschäfte, deren Renditen realwirtschaftlich nicht gerechtfertigt sind, sind damit aber weiterhin möglich. Liquiditätsanforderungen setzen an der Menge des von Banken gehaltenen Geldes zur Prävention von Liquiditätskrisen bei einem Zusammenbruch des Vertrauens in das Finanzsystem an. Sie helfen nicht, dieses Vertrauen durch Verbot wertloser Forderungen herzustellen. Eine Begrenzung von Boni oder Kopplung von Provisionen am langfristigen Unternehmenserfolg setzen am Geldgewinn und der „Gier“ der Manager an, nicht aber an deren Möglichkeit, Kreditnehmer weiter auszubeuten oder leere Forderungen herzustellen und zu verbriefen. Wer das Geldsystem dagegen als Kreditsystem für die Realwirtschaft versteht, muss zur Einsicht gelangen, dass weniger das Verhalten der Finanzintermediäre, sondern vielmehr die Produkte, die sie verkaufen, im Sinne eines Wucher- und Glücksspielverbots reguliert werden sollten. Wenn Manager im unregulierten Glücksspiel der Finanzmärkte ein Vielfaches der Managergehälter der Realwirtschaft und des Staates verdienen, „…dann nehmen sie dieses Geld den Schuldnern dieser Welt weg“ (Reifner 2017c, S. 167).
VWL-Standardlehrbücher | Reifner (2017a, 2017c) | |
Definition und Funktionen von Geld | Tauschmittel, Wertaufbewahrungsmittel, Recheneinheit; Mittel zur effizienten Arbeitsteilung | Zirkulationsfähige Forderung; Mittel zur Kooperation |
Natur des Menschen | Egoismus und Gewinnstreben, Tauschdenken | Kooperation für die Gemeinschaft |
Ziel des Wirtschaftens | Gewinn- und Nutzenmaximierung | Streben nach dem guten Leben (Aristoteles) |
Formen des Wirtschaftens | Marktwirtschaft mit Geldtransaktionen | Auch nicht marktwirtschaftliches Wirtschaften |
Rolle des Geldes beim Wirtschaften | Geld besitzen oder vermehren, Nachfrage nach Geld, Geld als Anlageobjekt | Geld nutzen statt akkumulieren |
Hauptperspektive | Gläubiger, Anleger | Schuldner, Kreditnehmer |
Vorherrschendes gesamtwirtschaftliches Modell | Güterwirtschaftliches Modell (Neoklassik) | Geldwirtschaftliches Modell (Schumpeter, Keynes) |
Krisenprävention | Verhaltensregulierung: Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen, Managervergütung | Produktregulierung: Wucher- und Glücksspielverbot |
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Literatur
Bofinger, P. (2017), „Realwirtschaftliche Modelle sind überholt“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juli 2017, http://blogs.faz.net/fazit/2017/07/19/realwirtschaftliche-modelle-sind-ueberholt-8932/ (abgerufen am 4.08.2017)
Burda, M. C. und C. Wyplosz (2009), Makroökonomie. Eine europäische Perspektive, 3. Auflage, Vahlen, München.
Gischer, H., Herz, B. und L. Menkhoff (2012), Geld, Kredit und Banken, 3. Auflage, Springer, Berlin u.a.
Görgens, E., K. Ruckriegel und F. Seitz (2014), Europäische Geldpolitik. Theorie, Empirie und Praxis, 6. Aufl., UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München, 2014.
Issing (2014), Einführung in die Geldtheorie, 15. Auflage, Vahlen, München.
Jarchow (1998), Theorie und Politik des Geldes 1, 10. Auflage, Göttingen.
Keynes, J. M. (1936): The General Theory of Employment, Interest and Money, London.
Reifner, U. (2017a), Das Geld 1. Ökonomie des Geldes – Kooperation und Akkumulation, Wiesbaden 2017.
Reifner, U. (2017b), Das Geld 2. Soziologie des Geldes – Heuristik und Mythos, Wiesbaden 2017.
Reifner, U. (2017c), Die Finanzkrise. Für ein Wucher- und Glücksspielverbot, Wiesbaden 2017.
Schumpeter, J. A. (1926), Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 5. Auflage, Berlin (Wiederabdruck 1952).
Interdisziplinarität
Kommentar zu Doris Neuberger
Interdisziplinarität verlangt Kommunikation zwischen den Disziplinen. Nach der Krise wurde sie in vielen vor allem studentischen Initiativen von der Volkswirtschaftslehre eingefordert, deren Prognosen so enttäuscht hatten. Für Recht und Soziologie gilt nichts Anderes. Doch sprechen wir seitdem wirklich mehr miteinander? Schaut man sich die preisgekrönten Ökonomen 2018 in Stockholm oder beim Leibnizpreis der DFG an, so geht es wohl eher darum, Volkswirte dafür zu belohnen, dass sie sich mehr um Fragen wie Umwelt und Armut kümmern, die bisher vernachlässigt wurden. Interdisziplinär arbeiten sie deshalb noch lange nicht.
Wie schwer Interdisziplinarität sein kann zeigte mir mein Aufsatz über die Nutzbarmachung soziologischer Studien zur Beratungsqualität für die Qualitätskontrolle in Banken. Die Reviewer eines führenden betriebswirtschaftlichen Journals hatten ihn mit Eifer und Wut abgelehnt. Die betriebswirtschaftliche Diskussion sei nicht verarbeitet. Rechts- und Schuldenberatung seien mit der Kundenberatung in Banken nicht vergleichbar. Dass die beste Beratung die richtige Beratung ist, empfanden sie wohl als Provokation gegenüber den ServeQual Untersuchungen.
Ökonomen und Juristen arbeiten wie in der Monopolkommission durchaus zusammen. Die Juristen nehmen den Ökonomen die Analyse der Zwänge der die Wirtschaft einrahmenden Institutionen ab (Recht als wirtschaftliches Risiko), die Ökonomen rechnen durch, was ein Gesetz kostet. (ÖAR) Sie sind sich gegenseitig Hilfswissenschaften. Aber ist das interdisziplinär? Eine andere Gruppe nimmt dies grundsätzlich für sich in Anspruch. Sie verkündet eine alternative, politische oder soziale Ökonomie. Sie tauscht die Ziele aus und ordnet das Streben nach höchstmöglicher wirtschaftlicher Produktivität gerechten Produktionsverhältnissen unter. Romantische Vorstellungen über die Produktivität des Sozialen im ethischen Investment, social banking oder beim Microlending haben uns lange beschäftigt. Wir haben schließlich einsehen müssen, dass sie die Leistungen und Möglichkeiten der Wirtschaftswissenschaften gerade nicht und damit auch keine Interdisziplinär einbringen wollen bzw. können.
Der nun schon seit Jahren bestehende Austausch mit Doris Neuberger ist da eine großartige Ausnahme. Wie auch in dieser Buchbesprechung bringt Neuberger ihre wirtschaftswissenschaftliche Theorie und Praxis ein, indem sie zunächst eine Übersetzungsleistung erbringt. Sie kann das weit besser als ich, der ich, wie meine Kritiker immer wieder betont haben, in keiner der angemaßten Wissenschaften wirklich zu Hause bin. Was sie aus meiner Ökonomie des Geldes herausliest steht wirklich dort drin. Das bereitet auch mir den Genuss der neuen Lektüre eines Textes, den ich an sich kennen müsste. Ich lerne also durch die Übersetzung Anknüpfungspunkte für meine Anschauungen in der VWl zu finden, die Teil ihrer eigenen monodisziplinären Diskussion sind.
Interdisziplinarität setzt also, und dies sagt auch diese Buchbesprechung, erst einmal ein Mindestmaß an gegenseitigem Verstehen (Multidisziplinarität) voraus. Man muss die Sprache nicht nur wörtlich, sondern auch in ihrem Sinn verstehen. Erst auf dieser Übersetzungsleistung kann dann die eigentlich interdisziplinäre Kommunikation aufsetzen.
Während ich Recht und Soziologie getrennt studiert habe blieb ich ökonomisch Autodidakt. Gleichwohl führten mich meine rechtlichen und soziologischen Arbeitsschwerpunkte bei Finanzdienstleistungen (Canaris) und Geld (Simmel) immer wieder zu Gegenständen, für die die Ökonomie ein Monopol beansprucht. Ich konnte mich der Ökonomie daher nur mit einem Trick nähern, dem ich den Namen Aristoteles gegeben habe. Er war aus heutiger Sicht zu seiner Zeit alles in einem: Jurist, Ökonom oder Soziologe – also interdisziplinär? Er hatte das Glück, dass die Arbeitsteilung in den Wissenschaften noch nicht stattgefunden hatte. Man nannte ihn (und viele Nachfolger bis ins 19. Jahrhundert hinein) einfach den Freund der Wissenschaften (Philosoph). Heute werden unter dieser Bezeichnung nur noch verzichtbare Freunde der Abstraktion geführt. Bei ihnen verkümmerte die aristotelische Omnidisziplinarität zur Disziplinlosigkeit, mit der zu vielem etwas gesagt werden darf, ohne darüber das zu wissen, was heute die Einzelwissenschaften verwalten.
Vielleicht kann ich dies an einem Beispiel erläutern, das Neuberger zutreffend als wesentliches Element meines Ansatzes ansieht. Es geht um Arbeitsteilung als produktivem Sinn des Tauschens. Das soll das Grundprinzip von Wirtschaft heute sein. Juristisch ist es der synallagmatische Vertrag, in dem der freie Wille und das exklusive Eigentum den individuellen Tausch zum Wesenselement wirtschaftlicher Kommunikationsformen erhebt. Aufgeweckt hat mich aber, dass Aristoteles auch Schenken als Tausch bezeichnet. Heute wird es eher als Alternative zum Tausch mit dem Begriff Altruismus dem Egoismus entgegengesetzt. Er unterschied aber reziproken und synallagmatischen Tausch.
Die Erklärung ist in einer verkehrten Volksweisheit enthalten „Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle gedacht“. Das heißt auf die Füße gestellt „Wenn man allen gibt, die etwas nötig haben, dann tauscht der Schenker mit seinem Geschenk eine Chance ein. Die klassische Versicherung auf Gegenseitigkeit enthält diesen Gedanken. Nun gibt es genug Kritiker nicht zuletzt den Papst, die das als das bessere Wirtschaftssystem propagieren. Doch das ist politisch. Aristoteles sah in ihnen lediglich alternative Formen der Wirtschaft. Er kannte zudem noch mehr Alternativen wie insbesondere die Befehls- und Sklavenwirtschaft, deren Effizienz sich ja bis heute im Stabliniensystem von Fabrik und Staat zeigt. (Subordinationstheorie) Auch die Raubritter bauten (nicht unähnlich zum Verdrängungswettbewerb) darauf auf, dass sie mit den Mitteln Dritter wirtschaften konnten nicht unähnlich zu den fleischfressenden Tieren und Schmarotzern.
Alle diese Systeme sind in der Lage, arbeitsteiliges Wirtschaften zu organisieren. Raub nutzt die Arbeitsteilung ebenso wie die Sklaverei. Doch sie gibt es auch ohne Arbeitsteilung. Im 11. Kapitel des ersten Bandes des Kapitals stehen die Beispiele für die kooperative Kraft. Wenn in der ursprünglichen Akkumulation der Baumstamm nicht alleine gehoben werden konnte, dann stellte es einen gewaltigen Fortschritt dar, wenn es gelang, 10 Arbeiter gleichzeitig anpacken zu lassen. Es gibt somit noch etwas ökonomisches Höheres als die Arbeitsteilung: die Kooperation. Alle Wirtschaftsformen beruhen auf dem Streben nach Kooperation.
Hier scheint mir der entscheidende Unterschied zum ökonomischen aber auch zum juristischen und ökonomischen mainstream zu liegen. Sie sehen alle die Kooperation als eine freundliche Alternative zu einer im Wesentlichen nur antagonistisch gedachten Wirtschaft, die man soziologisch als Besitzindividualismus (McPherson), juristisch als Eigentümergesellschaft (Savigny) und ökonomisch als vom egoistischen Gewinnstreben getrieben (Smith) denkt. Kooperation ist dann das Gegenteil. Daher die Gegensatzpaare von Individuum – Gemeinschaft, Tausch – Kooperation, Gesellschaft – Genossenschaft.
Nimmt man dagegen das Wort co-operari (zusammenarbeiten) ernst, dann kommt es nicht darauf an, ob es bewusst, freiwillig, moralisch wertvoll, auf gleicher Stufe etc. erfolgt. Alles Streben nach produktiverer Arbeit in Gesellschaften und Gemeinschaften ist dann Kooperation. Der Jurist versucht diesen Grundgedanken im Vertragsrecht zur Geltung zu verhelfen, was wir mit den Life Time Contracts (soziale Dauerschuldverhältnisse) umzusetzen versuchen. Der Soziologe muss sich Gedanken machen, ob nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch die Gesellschaft (Tönnies, Max Weber) gut daran täte, bewusstere Formen der Kooperation durch Solidarität und kollektives Handeln zu identifizieren. Die Ökonomen hätten die Aufgabe, je nach sozialen und technischen Möglichkeiten zu identifizieren, welche Art der Kooperation auch jenseits des Synallagmas zu der höchsten Produktivität führt, wobei politische Ziele wie etwa Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit durchaus einbezogen werden könnten.
Das wäre dann der Idealzustand einer philosophisch in den Grundfragen verbundenen multidisziplinären Wisssenschaftstrias, die die Fähigkeit der Interdisziplinarität nicht für ihr Ziel dafür aber für die Fähigkeit zur Kommunikation mit den anderen Wissenschaften erlernen muss.
Für dies Kooperationschance bin ich Doris Neuberger sehr dankbar. (UR)