Diskussion/Kommentar(e) zu: Reifner, Udo: Das Geld, Band 1: Ökonomie des Geldes, Teil E: Zins: Früchte oder Gewinnbeteiligung (S. 179-232).
von Matija Mayer-Fiedrich

 

Reifner beginnt das Kapitel „E: Zins: Früchte oder Gewinnbeteiligung“ seines 2017 erschienenen Buches „Das Geld – Band 1: Ökonomie des Geldes“ mit einem kurzen Rückgriff auf den Ursprung von Zinsen – und er beschließt es mit 12 Thesen. Diesem Vorgehen entspricht der nachfolgende Kommentar insoweit, dass zunächst eine interessante Tatsache des Münzwesens aus dem Mittelalter in Erinnerung gerufen wird, um anschließend die Möglichkeiten und Grenzen der heutigen Geldschöpfung gegenüberzustellen – um eine andere Sichtweise auf Zinsen zu ermöglichen. Dabei begegnen sich zwei theoretische Sichtweisen, die sich nicht ohne weiteres miteinander vereinbaren lassen.

In der u.a. im „Sachsenspiegel“ festgehaltenen mittelalterlichen Münzverfassung war es rechtens, umlaufende Münzen einzuziehen und unter Abzug eines sogenannten „Schlagschatzes“ gegen neue Münzen einzutauschen. Die damalige Geldmenge war primär an die Vorhaltung von Edelmetallen (insbes. Gold und Silber) gebunden. Die Festlegung von Tauschverhältnissen erfolgte durch Gewicht, Größe und Prägung der mit dem Münzrecht ausgestatteten Landesherren. Karl Walker (2009, S. 41) schildert u.a., dass beim unangekündigten, in unregelmäßigen Abständen durchgeführten Austausch der alten gegen neue Münzen eine Staffelung der Umtauschverhältnisse erfolgte. Die Abwertung, also Inflation, lag bei etwa 20 % und wurde umso größer, je später die alten Münzen zum Tausch abgegeben wurden. Es bestand kein Anreiz, Geld zu horten, was sich vom 12. bis ins 15. Jahrhundert in einer zunehmenden Nachfrage nach Gewerbeerzeugnissen und damit wirtschaftlichem Wachstum niederschlug.

Zwei Dinge lassen sich hieraus ableiten:

* Zum einen gab es in dieser spätmittelalterlichen Wachstumsepoche für Geldhortung (d.h. Sparen) keine Zinsen– vielmehr bestand ein Anreiz, Geld im Umlauf zu halten, also permanent in Güter zu investieren.

* Zum anderen mündet die gedankliche Verbindung von Geld mit Werten, also die Einlösung von Münzen in Gebrauchs- und Vermögensgegenstände, in einer Grundvorstellung der sog. realwirtschaftlichen Auffassung von Geld. Bofinger stellt eine neuere, mit der Geldschöpfung in Zusammenhang stehende Auffassung vor, auf die weiter unten Bezug genommen wird.

Die erste Folgerung kommt der 7. These Udo Reifners entgegen: „Kapitalvernichtung ist Teil des Systems“ und steht doch zugleich in direktem Widerspruch zu seiner 6. These: „Zinsen sind der Motor der Industrialisierung. […] Ein Volk sparte um des Zinses willen und ermöglichte damit aber die Investitionen in die Zukunft.“ Der kurze Blick in die gotische Epoche zeigt, dass gerade durch die Abschaffung des Anreizes für ein Horten von Vermögen, sowohl für die Bürger, als auch für die Landesherren (und damit Geldschöpfer), enorme wirtschaftliche Entwicklungen möglich wurden.

Ebenso kritisch sei angefügt, dass die Grundidee der Gründung von Sparkassen Ende des 18. Jahrhunderts darin lag, den Bürgern die Möglichkeit zu eröffnen, für „schlechte Zeiten“, also Krankheit und/oder Alter sicher vorsorgen zu können (z.B. Wandel, 2010, S. 3). Es stand die Vorsorge im Mittelpunkt des Sparens, während der darauf entrichtete Zins eine sicher gerne mitgenommene Begleiterscheinung war, aber maximal ein nachgelagertes Motiv!

Mit seiner 11. These fordert Udo Reifner: „Öffentlichen Ratingagenturen mit Pflichtratings für alle Forderungsportfolios, die unproduktive Kreditvergaben aufspüren und sie abwerten, gehört die Zukunft, weil die Wertsicherung allen Geldes, auch des Privatgeldes, Aufgabe des Staates ist.“

Hier lohnt ein differenzierter Blick auf die Frage, was denn Geld ist. Diesem Thema widmet sich Udo Reifner in seiner Trilogie über das Geld wiederholt (z.B. in III.A.2). Die Trennung in privates und staatliches Geld scheint hier jedoch wenig hilfreich. Vielmehr lohnt ein Blick in die Definition der Geldmengen, wie sie die Europäische Zentralbank (EZB) vornimmt. M1 umfasst Bargeld und Sichteinlagen von Nichtbanken. Bargeld wird von der EZB ausgegeben, Sichteinlagen sind kurzfristig abrufbares Buchgeld – es ist Geld, aber kein gesetzliches Zahlungsmittel! Bei M2 kommen kurzfristige Termin- und Spareinlagen bei Banken dazu, M3 schließt kurzfristige Geldanlagen mit ein, die Banken und Finanzinstitute ausgeben. Zentralbankgeld setzt sich jedoch lediglich aus Bargeld und Sichteinlagen der Banken selbst bei der EZB zusammen – alles andere ist nach Udo Reifners Verständnis Privatgeld. Eine Wertsicherung kann die EZB aber nur insofern übernehmen, wie sie Einfluss auf die Werthaltigkeit von Geld hat. Der Wertbestand wird primär als niedrige Inflation verstanden, also eine geringe Teuerungsrate des volkswirtschaftlichen Warenkorbs – wenngleich unsere sog. Papierwährung (oder fiat money – Geld per Dekret) „keinerlei Einlösungsversprechen in ein bestimmtes Gut beinhaltet“ (Bofinger, 2015, S. 494).

Die EZB nimmt durch verschiedene rechtliche Vorschriften Einfluss auf die Stabilität der Finanzmärkte. Der Geldmarkt lässt sich durch die Gestaltung der Leitzinsen beeinflussen. Von Unterschieden im Zinsniveau zwischen Hauptrefinanzierungsgeschäft (Leitzinssatz), Spitzenrefinanzierungsfazilität und Einlagenfazilität gehen Anreize aus, die die liquiden Mittel von Banken in kurzen Fristen im Austausch untereinander (Geldmarkt) lenken. Weitere rechtliche Regelungen, wie bspw. die Pflicht zum Vorhalten einer Mindestreserve der Banken bei der EZB auf Sichteinlagen von Nichtbanken oder die Mindesteigenkapitalunterlegungspflicht für risikogewichtete Aktiva sowie ein festes Verhältnis des Eigenkapitals zur Bilanzsumme einer Bank begrenzen u.a. deren Geldschöpfungsmöglichkeiten und die allzu leichtfertige Kreditvergabe. Eine Einmischung des Staates in alle mit Geld verbundenen Wirtschaftsvorgänge ist im Normalfall nicht notwendig und es bleibt fraglich, ob diese im Krisenfall überhaupt hinreichend wäre.

Die bei Udo Reifner scheinbar vorherrschende Vorstellung einer realwirtschaftlichen Geldtheorie führt in These 8 zu der Aussage: „Die andauernde Niedrigzinsphase im Darlehensgeschäft ist ein Zeichen dieses unverwertbaren Geldüberhangs.“ Auch hierzu lassen sich einige theoretische und empirische Aussagen finden. Samuelson stellte 1958 sein Modell der überlappenden Generationen vor. Dabei bildet die mittlere Generation Rücklagen für die späteren Jahre, die jüngere Generation muss erst noch aufbauen und leiht sich daher Finanzmittel (und/oder produktives Vermögen) aus, das es später zurückzuzahlen gilt. Die ältere Generation, die keine neuen Erträge mehr erwirtschaften kann, muss nun auf ihre früher gebildeten Ersparnisse zurückgreifen, die sie der jungen Generation geliehen hat. Je nach Leistungsvermögen und Bereitschaft der Jungen kann es unter Umständen zu einer Wertminderung des ursprünglichen Vermögens der jetzt Alten kommen, d.h. zu einer negativen Verzinsung der Ersparnisse aus der Zeit der mittleren Generation. Dafür könnte auch die Beobachtung sprechen, dass sich aktuell das gesamte weltweite Finanzvermögen auf das Vierfache der gesamten Wertschöpfung aus Produktion und Dienstleistung beläuft (o.V. 2016). Ben Bernanke (2007) bezeichnet dies als „global savings glut“, also Sparschwemme. Carl Christian von Weizsäcker (2012) greift diesen Gedanken auf und fordert u.a. mehr staatliche Nachfrage. Auf lange Frist sieht er keine Möglichkeit, über einen Zinssatz von Null herauszukommen, damit private Ersparnis zu genügend Investitionen führen.

Bofinger und Ries widersprechen hier deutlich. In einem im August 2017 unter www.makronom.de veröffentlichten Beitrag machen sie deutlich, dass nach realwirtschaftlichem Verständnis Sparen für Investitionen erforderlich sei. Demnach müsste mit einer Sparschwemme ein schwaches globales Wachstum einhergehen – für den Zeitraum 2012 bis 2017 identifizieren die beiden Autoren jedoch ein durchschnittlich höheres Weltwirtschaftswachstum als in den 1980ern und 1990ern, zwischen 2002 und 2007 sogar das höchste Wachstum seit 1980 – ein klarer Widerspruch! Diese geldwirtschaftliche Auffassung steht im Einklang mit den Möglichkeiten der Geldschöpfung, wie sie auch von der Bundesbank publiziert wird (o.V. 2015).

Auflösen lässt sich dieser Widerspruch nach Argumentation der geldwirtschaftlichen Auffassung. Die Finanzierung von Investitionen erfolgt durch Geld, das durch Banken durch Kreditvergabe geschöpft oder von Wirtschaftssubjekten bereitgestellt wird (z.B. auf der Suche nach renditeträchtigen Anlagemöglichkeiten). Sparen ist also keine Voraussetzung für Investitionen! Auch die Betrachtung langfristiger Umlaufrenditen unter Einbeziehung von Jahrzehnten vor 1980 führt dazu, dass sich das Zinsniveau nach einem hohen Niveau der 1980er Jahre wieder näher an seinen Durchschnitt bewegt hat. Vorausgesetzt, die Inflation steigt nicht wesentlich, lässt sich über die Zukunft der Zinsen aus den obigen Ausführungen ableiten, dass mit einem, wenn zwar niedrigen, aber dennoch positiven weiteren Verlauf des Zinsniveaus zu rechnen ist.

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Literatur/Quellen

Bernanke, Ben: Bernanke, Ben S. 2007. Global Imbalances: Recent Developments and Prospects. https://www.federalreserve.gov/newsevents/speech/bernanke20070911a.htm.

Bofinger, Peter/Ries, Mathias: Sparschwemme und Niedrigzinsen: Auch in der Ökonomie dreht sich die Erde um die Sonne. Erschienen 1.8.2017 unter www.makronom.de (https://makronom.de/sparschwemme-niedrigzinsen-auch-in-der-oekonomie-dreht-sich-die-erde-um-die-sonne-22247)

Bofinger, Peter: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. 4. Aufl. München 2015.

o.V. 2015: Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Geld und Geldpolitik.

o.V. 2016: Global Wealth Report 2016. Credit Suisse Research Institute. https://www.credit-suisse.com/ch/de/about-us/research/research-institute/news-and-videos/articles/news-and-expertise/2016/11/de/the-global-wealth-report-2016.html.

Walker, Karl: Geld in der Geschichte. Hamburg 2009.

Wandel, Eckart: Banken und Versicherungen im 19. und 20. Jahrhundert. München 2010.

Weizsäcker, C. C. von: Grenzen des Konzepts einer unabhängigen Zentralbank. In: Wirtschaftsdienst 92 (2), 2012, S. 91 – 94.))

Zinsen gibt es nicht

Anmerkung zu Matija Mayer-Fiedrich:Diskussion/Kommentar(e) zu: Reifner, Udo: Das Geld, Band 1: Ökonomie des Geldes, Teil E: Zins: Früchte oder Gewinnbeteiligung (S. 179-232).

Als Jurist und Soziologe von einer Ökonomin ernst genommen zu werden, ist eine große Ehre. Sich ihrer würdig zu erweisen, würde ein Entgegenkommen bei Definitionszielen wie Begriffen erfordern. Dem war mein Bd. 1 bisher nicht ausgesetzt. Ich dachte, ich käme um ein Eingehen auf die herrschenden Geldkonzepte herum als ich These 1 formulierte. Danach gibt es eben für mich keine Zinsen, sondern nur eine Anschauung davon, die sich, was Mayer-Fiedrich wohl infrage stellt, historisch als Anreizsystem zur Beteiligung an der Arbeit anderer bewährt hat. Zinsen gibt es also insoweit nur als Begriff und das auch nur, weil ihm eine heuristische Funktion zukommt, die sich auf die psychologische Verarbeitung natürlicher Wachstumsprozesse bezieht.

Zinsen sind somit eine fruchtbare Fiktion. Ich vermute, dass anders als in der Soziologie Ökonomen einer Ideologie keine besonders heilsame und das Bruttonationalprodukt steigernde Wirkung beimessen. Für mich ist dies aber grundlegend. Deshalb habe ich auch die Theorien zum Schwundgeld, an die die Ausführungen zum Mittelalter erinnern, nicht in Bd. 1, sondern im soziologischen Teil (Das Geld 2, Kapitel F 4., S. 203 ff, 206) behandelt. Solche Alternativgeldkonzepte haben für mich Ähnlichkeiten mit Religionen, die ja auch nicht nutzlos bleiben. Das ist z.B. bei den Bitcoins (Das Geld 2, S.206) etwas anders. Sie sind verbriefte Wetten auf ihre eigene Zirkulationsfähigkeit. Ich bleibe also innerhalb eines Interpretationsrahmens, der sich schwer in die Dichotomien der Geldtheoretiker einpasst. Doch weil niemand Geld sehen kann, kann es für ihre Bestimmungen auch nicht mehr geben als für die Quanten in der Physik: die Spuren, die sie hinterlassen.

Man merkt die Differenzen, wo es um die Bestimmung von Geld geht. Münzen waren für mich, so wie sie auch heute in den Museen erscheinen, kein Geld. Sie hatten aber unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, temporär Geld auszudrücken. Wenn alles Geld aus rechtlich anerkannten Forderungen besteht, dann ist Geld zugleich privat und öffentlich: privat, indem derjenige, dem es zugerechnet wird, einen Anspruch daraus hat, und öffentlich, weil dieser Anspruch in seiner Durchsetzung vom Staat garantiert wird.

Das aber passt nicht mit den in dem Beitrag zitierten Geldkonzepten zusammen. Zinsen entfallen ja nicht nur auf Geld, sondern auch auf nicht zirkulationsfähige Forderungen. Sie spiegeln Kapitalwachstum, was nicht identisch ist mit Geldwachstum.

Meine Einsicht aus der Lektüre ist es wohl, die gelebte Geldpolitik ernster zu nehmen und zu erklären, welchen Nutzen es für sie und ihre Gleichgewichtsideale hat, wenn man die Frage nach dem Geld als Mittel der Wirtschaft unter den drei Wissenschaften aufteilt und sie dann gemeinsam beantwortet. (Udo Reifner)