Comment on: Udo Reifner, Renting a Slave – European Contract Law in the Civil Society, in: Thomas Wilhelmsson/Elina Paunio/Annika Pohjalainen (Hrsg.), Private Law and the Many Cultures of Europe, 2007, S. 325 – 342.
von Klaus Tonner
1. Einleitung
Ich greife einen frühen Beitrag von Udo Reifner auf, der auf einen im Jahre 2007 in Helsinki gehaltenen Vortrag zurückgeht und umfangreichere Überlegungen aus einem Sonderheft der VuR, das im selben Jahr anlässlich des 20. Jahrestags der Gründung des iff erschienen ist,((Reifner, Zur Zukunft des sozialen Vertragsrechts – Soziale Dauerschuldverhältnisse in der Kreditgesellschaft, VuR Sonderheft 2007)) zusammenfasst.
In diesen beiden Beiträgen entwickelt Udo Reifner die These, dass „the rent contract is the basic contractual relationship in society“ (S. 327). Der eigentliche Zweck von Arbeit und Konsum werde in zwei dienende Rechtsverhältnisse ausgelagert: das Investitionsgeschäft, das die Verwendung der Darlehenssumme regelt, und das Einkommensverhältnis, das die Rückzahlung des Darlehens ermögliche.((Reifner, VuR 2007, Sonderheft 20 Jahre iff, S. 1.)) Der Verbraucherdarlehensvertrag könne eine gemeinsame Basis von kaufrechtlichen Spot- und dienstrechtlichen Dauerverträgen anbieten und für die in der Person des Verbrauchers und des Arbeitnehmers eher künstliche Trennung zwischen Arbeit und Konsum Brücken bauen.((Reifner, VuR 2007, Sonderheft 20 Jahre iff, S. 1, 3.)) Wir lebten in einer Kredit- und Dienstleistungsgesellschaft, deren vertragsrechtliche Grundlage in Dauerschuldverhältnissen zu sehen sei. Dies gelte nicht nur für Vertragsverhältnisse, die schon jetzt Dauerschuldverhältnisse sind wie das Arbeitsverhältnis oder das Wohnraummietverhältnis; vielmehr seien auch moderne Kaufverträge auf dem Weg zu dauerhaften Gebrauchsüberlassungsverträge.((Reifner, VuR 2007,Sonderheft 20 Jahre iff, S. 1, 4: Der moderne Verbrauchsgüterkauf ersetze den „Spot-Contract“ durch ein neuartiges Quasi-Dauerschuldverhältnis des „Kauf mit Service“.)) Udo Reifner hat diese Überlegungen in den folgenden Jahren zu einem Konzept des Life Time Contract weiter entwickelt.((Nogler/Reifner (eds.), Life Time Contracts, 2014.))
In diesen wenigen Zeilen kann ich mich nicht angemessen mit dem Thema des Life Time Contract auseinandersetzen. Vielmehr geht es um die Grundannahme, dass der Kaufvertrag als Austauschschuldverhältnis (anders ausgedrückt: Spot Vertrag) nicht den realen Zustand unserer Gesellschaft abbildet, der sich faktisch längst wie das Arbeitsverhältnis und das Wohnraummietverhältnis in Richtung eines Dauerschuldverhältnisses entwickelt hat. Ich will dazu einige Beobachtungen zum geltenden wie auch in der Entstehung befindlichen Recht zusammentragen, die die These stützen, teilweise aber auch relativieren. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Einige Grundbedürfnisse erfüllt der Verbraucher immer noch und auf absehbare Zeit vermittels Spot-Verträgen, bei dauerhaften Gebrauchsgütern hat er dagegen die Wahl zwischen kreditfinanzierten Kaufverträgen und dem Mieten der benötigten Gegenstände (Stichwort: Nutzen statt Kaufen). Hinzu kommt, dass moderne Gebrauchsgüter einen Service für ihre gesamte Lebensdauer benötigen und der Kaufvertrag auch auf diese Weise ein Element der Dauer gewinnt.
Auch die weitergehende These, dass die Dominanz des Kaufrechts durch eine führende Rolle des Verbraucherdarlehensrechts abzulösen und das Allgemeine Schuldrecht vom Verbraucherdarlehensrecht her zu denken sei, möchte ich relativieren. Meines Erachtens geht es eher um eine Gleichgewichtigkeit der vier Vertragstypen. Schließlich handelt es sich nicht um Life Time Contracts im Wortsinne: Auch bei einem optimalen Kündigungsschutz kann ein Arbeitsplatz durch die Insolvenz des Arbeitgebers wegfallen oder ein Wohnhaus abgerissen werden. Bei Konsumgütern geht es eher um die Lifetime des Produkts als um die Lifetime seines Nutzers.
Ich habe nicht zufällig eine Konferenz in Helsinki gewählt. Helsinki ist die Wirkungsstätte von Thomas Wilhelmsson, einem maßgeblichen Repräsentanten eines sozialen Vertragsrechts in Europa,((Etwa Wilhelmsson, The Philosophy of Welfarism and its Emergence in the modern Sacndinavian Contract Law, in: Brownsword/Howells(/Wilhelmsson, Welfarism in Contract Law, 1994, pS. 63 ff.)) mit dem Udo Reifner eine langjährige Zusammenarbeit verbindet. Der hier ausgewählte Beitrag enthält auch grundlegende Ausführungen von Udo Reifners Verständnis eines sozialen Vertragsrechts in kritischer Abgrenzung zu den Bestrebungen der Europäischen Union, das europäische Vertragsrecht zu vereinheitlichen, doch will ich darauf hier nicht eingehen. Zu diesen Aspekten sei vielmehr auf den Beitrag von Brigitta Lurger verwiesen.((Vgl. bereits Lurger auf derselben Konferenz in Helsinki, The Common Frame of Reference/Optional Code and the Various Understandings of Social Justice in Europe, in: Wilhelmsson/Pauinoi/Poljalainen, S. 177 ff.))
2. Kaufrecht
Auf den ersten Blick bestehen die Verträge über Gelderwerb und das Ausgeben von Geld, die von existentieller Bedeutung sind, aus einer Mischung von Spot-Verträgen – traditionell ausgedrückt, von Austauschschuldverhältnissen – und von Dauerschuldverhältnissen. Ich will mich hier nicht mit Wohnraummietverhältnissen und Arbeitsverhältnissen befassen, deren rechtliche Regulierung sich um die Frage rankt, wie viel Bestandsschutz das Recht gewährt, sondern um das Kaufrecht, genauer, das Verbraucherkaufrecht. Im Gegensatz zum Ansatz des Unionsrechts, das sich auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt, gehört dazu auch das Immobilienkaufrecht, weil der Erwerb einer Wohnimmobilie eine Alternative zum Mieten zur Deckung des Bedarfs nach einer Wohnung ist.
Wenn die Beobachtung richtig ist, dass Kaufverträge zum Zwecke des Konsums, Mietverträge oder Immobilienerwerbsverträge zum Zwecke des Wohnens und Arbeitsverträge zum Zwecke des Geldverdienens von existentieller Bedeutung sind, müssten sie sich im Rechtssystem gleichrangig abbilden. Udo Reifner arbeitet jedoch heraus, dass das Kaufrecht im geltenden Rechtssystem dabei Vorrang genießt, sozusagen die Krone des Vertragsrechts ist. Er erklärt, wie es historisch dazu gekommen ist, will dem Kaufrecht aber sozusagen die Krone entreißen und stattdessen dem Verbraucherdarlehensrecht die Spitzenposition einräumen.
Das Kaufrecht nimmt sowohl im nationalen wie im europäischen Vertragsrecht eine Spitzenstellung ein. Ein Blick ins BGB scheint zunächst zwar etwas anderes zu sagen, da dort das Kaufrecht nur eines von mehreren vertraglichen Schuldverhältnissen ist, die gleichrangig nebeneinander stehen, wobei allerdings auffällt, dass eine geschlossene Regelung des Wohnungsmietrechts erst seit der Mietrechtsreform aus dem Jahre 2001 im BGB steht und das Arbeitsrecht nur mit wenigen Splittern im Dienstvertragsrecht auftaucht. Weder das Mietrecht noch das Dienstvertragsrecht sind ursprünglich für Wohnen und Arbeiten konzipiert und erfassen nur Randaspekte. Insbesondere enthält das ursprüngliche BGB kein Kündigungsschutzrecht.
Das Kaufrecht dagegen wird im BGB dadurch sozusagen geadelt, dass das Vertragsrecht im Allgemeinen Teil des Schuldrechts jedenfalls in der ursprünglichen Konzeption des BGB – heute ist es durch die Umsetzung diverser EU-Richtlinien überwuchert – sich auf Austauschschuldverhältnisse und mithin auf das Kaufrecht bezieht. Dies gilt insbesondere für das Leistungsstörungsrecht. Das Vertragsrecht des BGB ist vom Austauschschuldverhältnis her konzipiert, was zu einer strukturellen Dominanz des Kaufrechts führt.
Auch im europäischen Kaufrecht ist eine Dominanz des Kaufrechts zu beobachten. Ausgangspunkt ist das internationale Einheitsrecht, das im Vertragsrecht immer auf das Kaufrecht fokussiert war. Das UN-Kaufrecht erfasst dabei nicht nur das, was man aus dem BGB-Kaufrecht kennt, also im Kern die Rechtsfolgen der Lieferung mangelhafter Kaufgegenstände, sondern auch die Vertragsschlussregeln, Schadensersatzansprüche und die Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen des Käufers. Es enthält also – aus BGB-Sicht gesprochen – allgemeines Vertragsrecht, aber stets ausschließlich bezogen auf das Kaufrecht.
Auf der europäischen Ebene lässt sich ebenfalls eine Dominanz des Kaufrechts beobachten. Die VerbrauchsgüterkaufRL von 1999((RL 1999/44/EG.)) knüpfte mit ihrem Konzept der Vertragswidrigkeit an das UN-Kaufrecht an. Allerdings enthält sie weder Regeln über das Zustandekommen von Verträgen noch Schadensersatzansprüche und behandelt auch die Pflichten des Käufers nicht. Damit bleibt sie im Rahmen des Regelungsbereichs des BGB-Kaufrechts und erheblich hinter dem Ansatz des UN-Kaufrechts zurück.
Nachdem die Kommission vergeblich versucht hatte, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in die Verbraucherrechterichtlinie zu integrieren,((KOM(2008) 614.)) scheiterte sie auch mit ihrem nächsten Anlauf, dem Vorschlag eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts (GEKR). Der Vorschlag zeigt die Fixierung der Kommission auf das Kaufrecht.((KOM(2011) 635.)) Hier werden, wie im UN-Kaufrecht, Vertragsschlussregeln und Vorschriften über Rechte und Pflichten von Verkäufern und Käufern zusammengepackt, dieses Mal einschließlich von Schadensersatzansprüchen. Darüber hinaus wurden die verbraucherschützenden Vorschriften der sog. vertikalen Richtlinien, also die Widerrufsrechte und die Klauselkontrolle, aufgenommen. Der Vorschlag enthielt damit eine merkwürdige Mischung von allgemeinem Vertragsrecht und Kaufrecht, was aber die starke Fokussierung auf das Kaufrecht nur unterstreicht. Udo Reifners im Jahre 2007 aufgestellte These wird also durch die weitere Entwicklung auf der europäischen Ebene zunächst unterstrichen.
Nachdem das GEKR am Widerstand der Mitgliedstaaten scheiterte, schlägt die Kommission eine neue Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vor, die sich mit dem Anwendungsbereich der alten deckt, also sich im Wesentlichen auf Rechtfolgen bei der Vertragswidrigkeit von Verbrauchsgütern beschränkt.((KOM(2017) 637. Dieser Vorschlag änderte den ursprünglichen Vorschlag, KOM (2015) 635, der sich nur auf Fernabsatzverträge bezog, und erweiterte ihn auf alle Verbrauchsgüterkaufverträge.)) Es geht nach wie vor um Austauschschuldverhältnisse. Aspekte von Life Time Contracts kommen nicht vor. Nach wie vor wird der Immobilienkauf nicht geregelt.
3. Entwickelt sich das Kaufrecht zu einem Dauerschuldverhältnis?
Es fragt sich, ob der Stand der nationalen wie der europäischen Gesetzgebung sich noch auf der Höhe der Zeit befindet. Regelungen von langfristigen Lieferbeziehungen zur Bedarfsdeckung von Verbrauchern kennt das geltende Gesetzesrecht nicht. Auch wenn der Verbraucher täglich seine Brötchen beim selben Bäcker kauft, entwickelt sich daraus keine rechtlich relevante Beziehung. Anders im b 2 b –Verhältnis: Hier sind rechtliche Regelungen langfristiger Lieferbeziehungen zur Absicherung des Absatzinteresses der Hersteller und des Interesses des Handels, nicht abrupt von den Bezugsquellen abgeschnitten zu werden, unverzichtbar. Die Wirtschaft kann dabei weder auf das BGB noch auf das HGB zurückgreifen, sondern musste ihre eigenen Vertragsregeln entwickeln, und für Verbraucher beschränken sich rechtliche Regelungen, die ein langfristiges Lieferinteresse schützen, auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i.S.d. Art. 106 AEUV (Energieversorgung etc.).
Doch auch bei Konsumgütern zeigen sich Tendenzen zu langfristigen Verträgen. Dabei geht es zum einen darum, den Konsum auf andere Formen als den Kauf und das uneingeschränkte Eigentum am Konsumgut zu stützen (Stichworte: Nutzen statt Kaufen, Teilen), und zum andern, dass technische Gebrauchsgüter für den (langfristigen) Gebrauch einen Service benötigen. Die Dauer ist hier allerdings nicht an die life time des Verbrauchers, sondern an die des Produkts geknüpft. Wie bei der Bedarfsdeckung für das Wohnen hat der Verbraucher bei langlebigen Produkten die Wahl zwischen Mieten und kreditfinanziertem Kauf.
Im erstgenannten Fall wird das Kaufrecht im engeren Sinne verlassen und weitgehend durch Mietverträge ersetzt. Ein Auto muss nicht 23 Stunden am Tag nutzlos Parkraum beanspruchen, sondern man kann sich des Carsharing bedienen.((Zum Carsharing Meller-Hannich, WM 2014, 2337.)) Eine Waschmaschine pro Haushalt ist nicht notwendig; es reichen zwei oder drei je Wohngebäude. Die Beispiele sind bekannt und können beliebig ausgeweitet werden. Die Vermieter-Rolle kann professionell wahrgenommen werden, was für den Nutzer den Vorteil hat, dass er sich um das Funktionieren des Gegenstandes und seinen etwaigen Ersatz nicht zu kümmern braucht. Es gilt § 536 BGB, wonach der Vermieter für den vertragsgemäßen Gebrauch der Sache einzustehen hat. Über Online-Plattformen können Verbraucher und Anbieter leicht zusammengeführt werden, wobei allerdings die Frage der Haftung der Plattform noch der Klärung bedarf.((Vgl. dazu die Beiträge in Rott/Tonner (Hrsg.), Schuldrecht aktuell: Das Recht der Online-Vermittlerplattformen, i.E.)) Jedenfalls schließt der Verbraucher einen langfristigen Vertrag ab, der zu seiner Beendigung einer Kündigung bedarf und nicht wie ein Kaufvertrag alsbald durch Erfüllung von selbst erlischt.
Die Alternative besteht im klassischen kreditfinanzierten Kauf. Das Problem ist älter als das BGB selbst und hat den Gesetzgeber bereits ausgangs des 19. Jahrhunderts zur Verabschiedung des AbzG veranlasst.((Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979, S. 103 ff.)) Über den Zwischenschritt des VerbrKrG ist die Materie heute in § 358 BGB geregelt und unionsrechtlich abgesichert. Die Trennung zwischen Kauf- und Kreditvertrag funktioniert schon lange nicht mehr, vielmehr müssen beide Verträge zusammen gedacht werden.
Darüber hinaus stellt sich die Frage nach einem den Kauf begleitenden oder ihn sogar ersetzenden Vertrag bei technischen Gebrauchsgütern, deren volle Lebensdauer ohne einen begleitenden Service nicht auszunutzen ist, und zwar über die kaufrechtliche Gewährleistungsfrist oder eine Herstellergarantie hinaus. Diese Frage stellt sich vermehrt im digitalen Zeitalter, in dem technische Produkte vom Hersteller online ein Update erfahren können und ggf. sogar müssen, um weiter genutzt werden zu können. Die „embedded software“ ist eine erhebliche Herausforderung, vor allem, weil die Lebensdauer auch nach dem Kauf vom Hersteller gesteuert werden kann. Der Hersteller kann die weitere Nutzung eines nach seiner Ansicht veralteten Produkts stoppen (kill switch). Dies kann hier nicht weiter vertieft werden; es wird aber jedenfalls deutlich, dass ein Kauf eines derartigen Produktes („smart device“) sich sinnvollerweise nicht in einer einmaligen Austauschbeziehung Geld gegen Ware erschöpfen kann.((Vgl. dazu zuletzt Regenfus, JZ 2018, 79.))
Die EU-Kommission hat auf diese Entwicklung mit dem viel diskutierten Vorschlag einer Richtlinie über digitale Inhalte reagiert,((KOM(2015) 635; dazu Artz/Gsell (Hrsg.), Verbrauchervertragsrecht und digitaler Binnenmarkt, i.E..)) die neben eine erneuerte Verbrauchsgüterkaufrichtlinie treten soll. Das Problem besteht aber gerade im Grenzbereich dieser beiden Vorschläge, nämlich der „embedded software“, die sich in einem traditionellen technischen Produkt wie einem Fernseher oder einem Kühlschrank befindet und ein Einwirken des Herstellers auf das Gerät erlaubt. Wie auch immer die Probleme gelöst werden: Es geht nicht ohne eine langfristige Beziehung zwischen Verbraucher und Hersteller oder Verkäufer, jedenfalls für die Lebensdauer des Produkts. Dabei kann nicht, wie offenbar die Kommission meint, zwischen dem Kauf eines Verbrauchsguts und dem Erwerb digitaler Inhalte getrennt werden, denn es geht genau um den Erwerb eines Verbrauchsguts mit digitalen Elementen. Der Kauf und der (digitale) Service müssen in einem einheitlichen Vertrag geregelt werden. Diesem Erfordernis entsprechen die vorliegenden Vorschläge nicht.
Verbunden mit diesem Erfordernis ist die Frage einer Haftung für die Lebensdauer des technischen Produkts. Die gesetzlichen Gewährleistungsfristen reichen dafür nicht aus. selbst wenn sie maßvoll erweitert würden.((Gildeggen VuR 2017, 83; Tonner, FS Schwintowski, 2017, S. 518, 537 ff.)) Der neue Vorschlag belässt es jedoch bei der geltenden zweijährigen Verjährungsfrist, die zudem auch noch voll harmonisierend ist und im Gegensatz zur gegenwärtigen Rechtslage den Mitgliedstaaten verwehrt, längere Fristen einzuführen, obwohl das Thema einer life span Garantie im Europäischen Parlament diskutiert wurde.((Dazu How an EU Lifespan Model could be Implemented Across the European Union, Studie im Auftrag des Europäischen Parlaments, durchgeführt vom Institut für Fianzdienstleidtungen (Autoren: Klaus Tonner, Rosalind Malcom), 2017, PE 583.121.)) Es bleibt abzuwarten, ob die weitere Beratung im Europäischen Parlament zu einem besseren Einstieg in die gebotene Umwandlung des Verbrauchsgüterkaufvertrags in ein Dauerschuldverhältnis jedenfalls für die Lebensdauer technischer Produkte führt.
Es gibt aber immer noch Austauschverträge bei geringwertigen Verbrauchsgütern wie Lebensmitteln oder Kleidung oder auch Dienstleistungen. Weder eine Fahrkarte noch eine Eintrittskarte erwirbt man kreditfinanziert. Auch wenn Lieferando und ähnliche Systeme auch im Lebensmittelbereich langfristig zu dauerhaften Vertragsbeziehungen führen mögen: Noch entscheidet der Verbraucher jeden Morgen neu, ob er beim Bäcker um die Ecke Brötchen kauft. Mit anderen Worten: Spot-Verträge zur Deckung von Konsumbedürfnissen, die direkt aus dem Einkommen ohne Zwischenschaltung eines Darlehens bezahlt werden, wird es auch in Zukunft noch geben.
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass Wohnen und Arbeiten schon immer durch Dauerschuldverhältnisse abgedeckt werden, während sich beim Konsum teilweise ein Wandel vom Austausch- zum Dauerschuldverhältnis abzeichnet. Die klassische Austauschbeziehung wird dadurch aber nicht verdrängt.
Fraglich erscheint, inwieweit nachhaltigkeitsorientierte Konzepte wie Nutzen statt Besitzen oder Teilen nennenswerte Teile des Konsums sozusagen aus dem Kaufrecht verdrängen werden. Ich habe daran Zweifel, zumal Konsumgüter als Statussymbol immer noch eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen und viele Verbraucher zu Verhaltensänderungen nicht bereit sind. Die letzte Stunde des Verbrauchsgüterkaufrechts ist noch längst nicht eingeläutet.
4. Darlehensrecht als zentraler Vertragstyp?
Betrachtet man die Dinge vordergründig, kommt dem Darlehensrecht nur eine partielle Rolle in den für den Verbraucher existentiellen Verträgen zu, nämlich dann, wenn er Güter mit langfristiger Gebrauchsdauer kauft, die entsprechend teuer sind, und wenn er sich entscheidet, seinen Wohnbedarf durch den Erwerb einer Immobilie zu decken. Der Einkommenserwerb vermittels Arbeit und Alltagsgeschäfte zu Konsumgeschäften sind dagegen frei von Elementen eines Darlehens.
Als gemeinsamer Nenner der genannten Vertragstypen erweist sich die Gebrauchsüberlassung. Darlehens- und Mietverträge sind Gebrauchsüberlassungsverträge, und wenn das Prinzip „Nutzen statt Kaufen“ voranschreitet, würde auch ein relevanter Teil des Konsums von Gebrauchsgegenständen über Mietverträge umgesetzt. Auch der Arbeitsvertrag kann als ein Gebrauchsüberlassungsvertrag angesehen werden, denn der Arbeitnehmer überlässt dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft, über die dieser im Rahmen der geltenden gesetzlichen Vorschriften und (Tarif-)Verträge kraft seines Direktionsrechts verfügen kann. Es bleiben allein die Alltagsgeschäfte zu Konsumzwecken, die man nicht unter den Begriff des Überlassungsvertrags subsumieren kann.
Doch diese Betrachtung ist zu vordergründig, denn weder das Mietshaus noch die Fabrik, in der die Konsumgüter hergestellt werden, fallen vom Himmel. Es braucht vielmehr Kapital, um sie zu errichten, und dieses hat der Investor i.d.R. nicht selbst. Er muss finanziell in Vorlage treten, um das Mietshaus errichten zu können, bevor er es vermieten kann bzw. um in der Lage zu sein, die Arbeitskraft produktiv verwenden zu können. Letztlich sind auch die Lebensverhältnisse, in denen der Mensch nicht selbst unmittelbar in die Rolle des Darlehensnehmers oder auch –gebers tritt, von Darlehen abhängig. Udo Reifners These von der zentralen Bedeutung des Darlehnsrechts erweist sich damit insoweit als richtig, dass Darlehen überall auftauchen, wenn nicht direkt in einem Verbraucherdarlehensvertrag, so doch sozusagen im Hintergrund bei denjenigen, die Arbeitsplätze und Mietwohnungen bereit stellen.
Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass das Darlehensrecht die Königsdisziplin eines modernen Vertragsrechts sein sollte. Die anderen Vertragstypen – Kaufvertrag, Wohnraummietvertrag, Arbeitsvertrag – spielen mehr als eine dienende Rolle. Geld, das aus Darlehen stammt, wird zwar in allen diesen Verträgen eingesetzt, entweder direkt wie beim finanzierten Kauf langlebiger Gebrauchsgegenstände oder beim Erwerb von Wohnimmobilien, oder indirekt, wenn der Verkäufer sich vorher die Waren beschaffen oder der Vermieter das Mietshaus errichten muss. Gleichwohl bleibt Geld Mittel zum Zweck. Der Mensch arbeitet, um vermittels der erworbenen Geldmittel seine Bedürfnisse wie Wohnen und Konsum zu befriedigen. Die vier Vertragstypen müssen sich in einem austarierten und aufeinander bezogenen Gleichgewicht befinden; der Kauf- und der Wohnraummietvertrag hat keine dienende Funktion gegenüber dem Darlehensvertrag. Man könnte sogar umgekehrt formulieren, dass der Darlehensvertrag eine dienende Funktion hat, um letztlich die menschlichen Grundbedürfnisse wie Wohnen und Konsum über Wohnraummiet- und Kaufverträge zu befriedigen.
5. Ergebnis
Richtig ist sicher die Erkenntnis, dass wir uns dort, wo noch keine Dauerschuldverhältnisse bestehen, nämlich im Kaufrecht, auf dem Wege zu solchen befinden. Es müssen nicht gleich Life Time Contracts sein. Vielmehr ist die Dauer beim Wohnen abhängig von einer bestimmten Lebensphase, z.B. der Größe einer Familie oder der Bindung an einen bestimmten Ort wegen des Arbeitsplatzes. Beim Arbeitsverhältnis können Karriereüberlegungen auch aus Sicht des Arbeitnehmers einen Arbeitsplatzwechsel wünschenswert erscheinen lassen, und beim Kauf technischer Gebrauchsgüter schließlich ist die Dauer an die technisch mögliche Nutzungsdauer gebunden.
Udo Reifners Überlegungen weisen aber den Weg in die richtige Richtung. Sie erweisen sich als nachhaltig und sind auch zehn Jahre nach ihren ersten Publikationen aktuell. Sie sind es wert, sich auch noch heute an ihnen abzuarbeiten und den nötigen Feinschliff vorzunehmen.