von Sandra Schuster

 

„Die moderne Verbriefung ist ohne jede zivilgesetzliche Kontrolle. Alles kann in jeder Weise verbrieft werden“
(Udo Reifner, Das Geld, Bd. 1, Ökonomie des Geldes, Wiesbaden 2017, S. 170)

Seit vielen Jahren wird Prof. Dr. Udo Reifner von unserer Fraktion als Wissenschaftler und kompetenter Sachverständiger geschätzt. Mit der Gründung des instituts für finanzdienstleistungen -iff hat er einen wichtigen Knotenpunkt und ein Referenzzentrum in der Forschung und Beratung im Bereich Finanzdienstleistungen geschaffen. Die Wissenschaft füllt er mit Leben, weil er seine Thesen nicht völlig losgelöst im Elfenbeinturm entwickelt, sondern normativ mit dem Anliegen des Zugangs zu Kredit- und Finanzdienstleistungen verknüpft. Dabei ist er ein kritischer Geist, der nachfragt und sich auch nicht zu schade dafür ist, Missstände offen anzusprechen und Unbequemes beim Namen zu nennen. Bei einer Vielzahl von internen wie öffentlichen Fachgesprächen in der Fraktion sowie Anhörungen im Bundestag hat er uns mit seiner Expertise wertvolle Impulse für unsere politische Arbeit geliefert.

Sein Ansatzpunkt ist der Kredit, d.h. vielmehr das Kreditverhältnis und die Kreditbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner. Dementsprechend ist aus dieser Sicht jegliche Anlage die Umkehrung des Kredits, weshalb eine Finanzstrukturpolitik, die den Anspruch von Nachhaltigkeit verfolgt, „die Güte der Forderungen selbst betreffen muss“. Folglich ist es für ihn primär der Schuldnerschutz und nicht der Anlegerschutz, der langfristig mehr Sicherheit schaffen würde.

Wir schätzen dieses Herangehen, zumal dem Kredit als der zentralen Finanzdienstleistung und einer notwendigen verantwortungsvollen Kreditvergabe in der öffentlichen Auseinandersetzung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zukommt. Auch teilen wir die Forderungen nach einer fairen und verantwortungsvollen Kreditvergabe. Gleichzeitig setzen wir – auch aufgrund unserer praktischen Erfahrungen im politischen Betrieb – zusätzlich auf andere Instrumente. Wir fordern deshalb als weiteres Instrument einen Finanz-TÜV, um hierüber die Verbreitung dubioser Finanzinstrumente von Beginn an zu verhindern und darüber den Finanzsektor auf seine realwirtschaftlich nützlichen Funktionen zu schrumpfen und zu konsolidieren. Mit diesem Instrument wollen wir mehr, als „nur“ die individuelle Anlegerin oder den individuellen Anleger schützen. Ziel ist es auch, gesamtgesellschaftliche Probleme besser und effektiver zu lösen.

Unser Konzept eines Finanz-TÜV

Bereits zu Beginn der Finanzkrise und als wichtigen Bestandteil einer grundlegenden Reform der Finanzmärkte hat die DIE LINKE eine obligatorische Zulassungsprüfung für unterschiedliche Typen von Kapitalanlagen und Finanzinstrumente aller Art vorgeschlagen. Der TÜV würde diese vor ihrer Zulassung zum Markt prüfen. Die Anbieter müssten nachweisen, dass die Finanzinstrumente keinen Schaden anrichten, sondern im Gegenteil, einen Nutzen haben.((Die Prüfung erfolgt entlang gesamtgesellschaftlicher, volkswirtschaftlicher sowie verbraucherschutzrelevanter Kriterien. Vgl. hierzu und zum folgenden Deutscher Bundestag, Drucksache 18/9709, Antrag der Fraktion DIE LINKE., Zulassungspflicht für Finanzprodukte schaffen – Finanz-TÜV einführen URL http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/097/1809709.pdf, das Konzept eines Finanz-TÜV sowie diesbezügliche Aspekte einer EU-weiten Verankerung und institutionellen Ansiedlung, Mindeststandards der Zulassungsprüfung und Überlegungen eines mehrstufigen -verfahrens sowie Haftungsfragen wurden in einem Diskussionspapier der Fraktion DIE LINKE. ausführlich ausgearbeitet, vgl. URL www.linksfraktion.de/positionspapiere/eckpunkte-ausgestaltung-finanz-tuev/.)) Hier baut der Finanz-TÜV auf der Umkehr des Marktzugangs auf, wie wir sie bereits bei der Zulassung von Medikamenten oder komplexen technischen Anlagen kennen, die auf den Bereich der Finanzinstrumente übertragen wird: Bevor neu entwickelte Arzneimittel oder Chemikalien in Umlauf gebracht oder komplexe technische Anlagen in Betrieb genommen werden, sind sie Zulassungs- und Registrierungspflichten unterworfen. So muss ein Arzneimittelhersteller die Wirkungsfähigkeit eines neuen Medikaments ebenso nachweisen wie die Beherrschbarkeit und Verhältnismäßig der unerwünschten Nebenwirkungen. Für komplexe Finanzinstrumente gilt dieses Marktzugangsprinzip hingegen nicht. An Finanzinstrumenten und Kapitalanlagen darf alles vertrieben und in Umlauf gebracht werden, was nicht ausdrücklich verboten wurde.

Nach unseren Vorstellungen soll der TÜV sowohl zukünftige als auch rückwirkende regulatorische Effekte haben: Bereits am Markt gehandelte Finanzinstrumente werden sukzessiv überprüft und dann entweder vom Markt genommen oder erhalten eine Zulassung. Dass von einem solchen TÜV (quasi als Nebeneffekt) eine marktstabilisierende Wirkung zu erwarten ist, insofern es auch besser gelingt, Marktverzerrungen aufzubrechen, weil Informationen besser bereit gestellt werden,((Vgl. HIckel, Rudolf, Stellungnahme zur öffentlichen des Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zum Antrag der Fraktion DIE LINKE: „Zulassungspflicht für Finanzprodukte schaffen – Finanz-TÜV einführen“ am 17. 5.2017, S. 3f, abrufbar unter URL https://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a07/anhoerungen/115-/501864.)) ist vorteilhaft und hilft Informationsasymmetrien und –defizite von Anlegerinnen und Anlegern zu begrenzen. Ein Finanz-TÜV würde dafür sorgen, dass für Verbraucherinnen und Verbraucher schädliche und hochriskante Kapitalanlagen nur schwerlich in deren Hände gerieten. So legen Erfahrungen aus der anwaltlichen Rechtberatung nahe, dass Anleger*innen in den meisten Fällen nicht einschätzen können, ob ein Finanzinstrument für sie geeignet oder zu riskant ist und vielleicht sogar marktschädliche Effekte haben kann, die das Individuum gar nicht überblicken bzw. einschätzen kann. Vielfach verlassen sie sich zu leichtfertig auf die Aufsicht durch die Behörden und den moralisch unterstellten Anstand der Produktanbieter, weil sie die Zulassungspflicht von anderen Marktsegmenten kennen und hier ebenfalls als Maßstab anlegen. Dass Emittenten Kapitalanlagen auf den Markt bringen können, ohne ihre Kompetenz, Erfahrung und Bonität nachweisen zu müssen, ist für viele Anleger*innen kaum denkbar.((Vgl. Mattil, Peter, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Pro & Contra, Einführung eines Finanz-TÜV? In: Zeitschrift für Rechtspolitik 5/2017, S. 158.))

Finanzmarktregulierung ist mehr als Anlegerschutz…

Der Nutzen eines Finanz-TÜVs, wie wir ihn vorschlagen, erschöpft sich keineswegs in Aspekten des Anleger-, bzw. des Verbraucherschutz im engeren Sinne. Hierum geht es nicht im Vorhinein, sondern erst in einem zweiten Schritt. Maßgeblich für eine obligatorische Zulassung ist das höher angesiedelte Ziel der Stabilität des Finanzsystems. Der TÜV ist ein wichtiger Bestandteil der Finanzmarktregulierung: Die Entwicklung an den Finanzmärkten der letzten Jahrzehnte hat deutlich gezeigt, dass die Energie und Phantasie einer riesigen Finanzindustrie unbegrenzt ist, wenn ihr keine effektive und klare Regulierung entgegengesetzt wird. Es werden immer neue und meist immer komplexer werdende Finanzinstrumente entwickelt und vertrieben, weil sich damit sehr viel Geld verdienen lässt.((Je komplexer ein Finanzinstrument ist, desto lukrativer ist es für Anbieter und Ratingagenturen. Zugleich sinken die Gewinnspannen schnell, da Finanzinstrumente nicht patentiert sind. Auch dies ist eine treibende Kraft, immer neue Finanzinstrumente überhaupt zu entwickeln. Vgl. hierzu Suleika Reiners / WFC, Finanz-TÜV einführen: Trennbankensystem ist ein veralteter Vorschlag, EurActiv vom 4.10.2012.)) Rund 3,2 Millionen (!) neue Finanzinstrumente((Die Termini „Finanzinstrument“ und „Kapitalanlage“ werden im Folgenden synonym benutzt als Oberbegriffe für die Gesamtheit aller Geschäfte, die auf Finanzmärkten getätigt werden.)) werden von der Finanzaufsicht BaFin jährlich genehmigt.((Vgl. Anhörung im Deutschen Bundestag vom 17. Mai 2017, Protokoll-Nr. 18/115, S. 20. Laut BaFin war dies in 2016 die Anzahl der einzelnen Final Terms, die aufgrund der Basisprospekte gezogen wurden.)) Wozu werden alle diese neu zugelassenen Finanzinstrumente gebraucht?

Die Anzahl etwa der Instrumente zur durchaus unterstützenwerten Absicherung – gegen Kursrisiken bei Handelsgeschäften, oder in der Landwirtschaft – für Preissicherheit im Termingeschäft, ist übersichtlich. Gleichwohl ist exzessive Spekulation selbst mit diesen Instrumenten möglich, wodurch ungewollte Spekulation und Absicherung mittlerweile sehr eng beieinander liegen. Nichtsdestotrotz wird die Mehrzahl der Weiterentwicklungen und Ableitungen, die es darüber hinaus gibt, zuvorderst in rein spekulativer Absicht entwickelt.

Daneben werden neue Instrumente bzw. „Produkte“ mit dem Ziel gestaltet, einmal geschaffene Regulierung zu umgehen. Auf jeden Ansatz von Regulierung folgt stets ein Schwung neuer Finanzinstrumente – und das Ergebnis ist eine „regulatorische Dialektik“, die sowohl Finanzinstrumente als auch Regulierungen immer komplexer werden lässt.((Reiners, Suleika / World Future Council, At the base of financial regulation: Testing for Financial Innovations („finance TÜV“), Discussion Papier for EuroMemo, September 2012.)) Dabei droht ähnlich dem Wettlauf zwischen Hase und Igel jede Aufsicht und Gesetzgebung den Ausweich- und Umgehungsstrategien der Finanzindustrie nur hilflos hinterherzulaufen. Denn Prozesse und Mittel demokratischer Gesetzgebung erfordern Zeit. Ein Finanz-TÜV würde hier einiges an spekulativen Auswüchsen und Zeitvorteilen der Finanzindustrie präventiv begrenzen. Durch Ausdünnen der Finanzmärkte trägt er gleichfalls dazu bei, die Finanzmarktstabilität zu erhöhen und die maßlose Bereicherung und „Gier“ von Spekulanten und Finanzalchimisten zulasten von Gesellschaft und Realwirtschaft zurückzudrängen.

Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen

Dass Finanzinstrumente (in ihren Wirkungen) ebenso systemrelevant sein können wie Finanzinstitute, hat bereits der De-Larosière-Bericht deutlich gemacht. Bei der Untersuchung der Gründe der Finanzkrise und der daraus zu ziehenden Lehren für regulatorische Reformen haben die Empfehlungen dieses von der EU-Kommission im Oktober 2008 beauftragten Expertengremiums unter Leitung des früheren französischen Notenbankgouverneurs viel Aufmerksamkeit erfahren.((Besonders gilt dies für eine europäische Positionsfindung einer Nachkrisen-Reformagenda, d.h. der seit dem G-20-Gipfel in Washington 2008 verabschiedeten Regulierungsmaßnahmen zur Bewältigung der Krisenfolgen und Verhinderung künftiger Krisen. Vgl. Klein, Dietmar K.R, Der de-Larosière-Bericht-eine europäische Position zur Londoner G20-Konferenz, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 7/2009, S. 324-327.)) Als einen wesentlichen Auslöser greift der Bericht auch das Wirken risikoreicher und komplexer Finanzinstrumente in Zusammenhang mit exzessiver und pervertierter Risikostreuung auf. So hatten Banken komplizierte Mehrfachverbriefungen und Kreditderivate dazu genutzt, Risiken aus ihren Bilanzen auszulagern und ihre tatsächlichen Risiken zu verschleiern, wodurch sie weniger Eigenkapital benötigten. Größere Risiken wurden übernommen, aber „nicht angemesssen“ bepreist.((De Larosière Group, Report from the High-level Group on Financial Supervision chaired by Jaques de Larosière (De Larosière-Report), Brüssel 25.2.2009, S. 8.)) „Die Komplexität einiger Finanzinstrumente und die inhärente Anfälligkeit der zugrunde liegenden Basiswerte erklären auch, warum die Probleme auf dem relativ kleinen US-Subprime-Markt das globale Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs führen konnten“.((Ebd., S. 13.)) Die Folgen waren verheerend: Dadurch dass keiner mehr einen Überblick hatte, welche Risiken aus welchen Finanzgeschäften nun bei welcher Bank im Keller schlummerten, traute keine Bank mehr der anderen. Zudem brach der Geldmarkt zwischen den Banken zusammen und sogar seriöse Banken bekamen Liquiditätsprobleme.

Ein Hauptvorwurf an die Adresse der Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden lautete, dass sie die globale Größenordnung der übermäßigen Hebelung im Finanzsystem verkannt hätten. Sie haben ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf mikroprudenzielle Risiken einzelner Finanzinstitute gerichtet. Die makrosystemischen Risiken einer gegenseitigen Ansteckung – bedingt durch das verflochtene Gesamtsystem – haben sie hingegen weitgehend vernachlässigt.((Vgl. De LarosièreGroup, a. a. O., S. 10.)) Obwohl die führenden Industrie- und Schwellenländer 2009 auf dem G-20-Gipfel von Pittsburgh beschlossen haben, dass kein Finanzprodukt unreguliert bleiben soll, bleibt dies nur ein hehrer Vorsatz, der bis heute nicht umgesetzt ist. Die bisherigen Regulierungsmaßnahmen setzen vorrangig bei den Kapitalmarktakteuren wie Banken und Versicherungsunternehmen an. Dabei wird übersehen, „dass die eigentliche „Ware“ am Kapitalmarkt“, das Finanzinstrument –bzw. „-produkt“ im engeren Sinne – „zum Krisenmotor werden kann“.((Hierzu und zur Rolle komplexer und risikoreicher Finanzinstrumente bei der Finanzmarktkrise vgl. Anika Patz, Staatliche Aufsicht über Finanzinstrumente, Eine rechtsvergleichende juristisch-ökonomische Analyse zur Begründung einer materiellen staatlichen Aufsicht über Finanzinstrumente, Tübingen 2016, S. 4.)) Gerade die aktuellen Bestrebungen um eine Kapitalmarktunion – und damit tendierte Wandlungsprozesse eines deutschen bankbasierten Finanzsystems hin zu einem kapitalmarktorientierten System – werfen angesichts der erneut diskutierten Wiederzulassung von Verbriefungen neue Fragen auf und verweisen auf bislang ungelöste Probleme.((Vgl. „EU-Pläne für Verbriefungen. Forscher fürchten Comeback von Giftpapieren“, Spiegel-Online vom 6.2.2017, URL http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/finanzmarkt-forscher-warnen-vor-comeback-von-verbriefungen-a-1133288.html.  )) Was also spricht dagegen, den Blick zu erweitern und endlich präventiv auf systemrelevante Finanzinstrumente zu richten?

Jüngste Diskurse

Einen guten Anhaltspunkt, um diese Frage zu beantworten, bietet die öffentliche Anhörung im Bundestag im vergangenen Jahr. Eine ganze Bandbreite an Sachverständigen aus den Bereichen Finanzwirtschaft, Finanzaufsicht, Wissenschaft und Recht hatte sich zu diesem Anlass mit unserem Finanz-TÜV auseinandergesetzt((Vgl. Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, Anhörung vom 17. Mai 2017, URL https://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a07/anhoerungen/115-/501864.)). Anhand der Stellungnahmen lässt sich ablesen, dass es uns gelungen war, das vorgeschlagene Verfahren als keineswegs dirigistische, sondern als rechtsstaatlich eingeübte und bewährte Praxis z.B. mit Verweis auf den Bereich der Arzneimittelversorgung herauszuarbeiten. Niemand – nicht einmal die Vertreter der Deutschen Kreditwirtschaft und der Fondsindustrie – stellten das Anliegen des Finanz-TÜVs grundsätzlich in Frage oder wiesen diesen Vorschlag als sinnlos zurück. Normalerweise sind wir es als LINKE gewohnt, dass unsere Forderungen als „nicht realisierbar“ oder „Rückfall in die Planwirtschaft“ vom Tisch gewischt werden. Stattdessen war auffällig, wie zurückhaltend sich die ansonsten üblichen Kritiker positionierten. Als Vorbehalt wurde von der deutschen Kreditwirtschaft und der Finanzaufsicht BaFin lediglich ein vermeintlich „zusätzlicher“ bzw. „hoher“ bürokratischer Aufwand ins Spiel gebracht.

Warum der Riese Tur Tur gar nicht so groß ist und „Monster an den Kapitalmärkten“ bezwingen kann….

Das Bürokratieargument – vorgetragen von einer Bundesbehörde, die seit Beginn der Finanzkrise ihr Personal fast verdoppelt hat – macht dabei stutzig, insbesondere, wenn einem sonst nichts mehr einfällt. Und es wirkt wie der Scheinriese Tur Tur bei Jim Knopf, der kleiner wird, wenn man näher kommt: Natürlich bedarf es für eine gründliche Prüfung vieler Finanzinstrumente ausreichenden und qualifizierten Personals. In der Anhörung wurde allerdings einleuchtend gezeigt, dass ein präventiver TÜV gleichzeitig auch für einen massiven Bürokratieabbau sorgen kann, weil etliche nachgelagerte Kontrollstrukturen wegfallen und die Aufsicht vielen Problempapieren am Markt nicht mehr hinterherlaufen muss, weil sie gar nicht erst in Umlauf kämen.((Vgl. hierzu und zum Folgenden die Stellungnahme von Rechtsanwälte Peter Mattil & Kollegen, URL https://www.bundestag.de/blob/506694/434b7d8fd24829d03161f21e72cf01cf/07-data.pdf.)) Wenn ein Anlageprodukt einmal im Markt ist, so etwa der Anwalt für Kapitalmarktrecht und Anlegerschutz, Peter Mattil, verbreitet es sich so schnell, dass die Aufsicht gegen eine Lawine ankämpfen müsse. „Was sich zum Teil an den Märkten für Monster entwickeln“, sei durch Ansetzen am einzelnen Produkt und Prospekt „nicht in den Griff“ zu bekommen, so Mattil. Das könnte man nur zu Beginn stoppen. Auch haben gegenwärtig geprellte Anlegerinnen und Anleger das doppelte Nachsehen. Um ihren Schaden und Anspruch geltend zu machen, müssen sie klagen, was mit Beweislast und Kosten verbunden ist.((Mattil weiter folgend sind in den vielen Anlageskandalen der vergangenen Jahre statistisch gesehen 95 Prozent der Anleger auf ihrem Schaden sitzengeblieben.))

Das iff hat in der Anhörung argumentiert, dass jedes Finanzprodukt bei missbräuchlicher Verwendung schaden könnte und dementsprechend ein Finanz-TÜV nichts bringe.((Vgl. hierzu u. zum Folgenden Stellungnahme des iff – institut für finanzdienstleistungen zur Anhörung, URL https://www.bundestag.de/blob/506930/de50369b9ab8654151f72207d3fc02f6/08-data.pdf.)) Stattdessen wird vorgeschlagen, die Datenlage für Finanzdienstleistungsprodukte für Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern und systematische Testkäufe (mystery shopping) einzuführen. Beides ist berechtigt und notwendig, allerdings im Rahmen des bereits seit 2015 bestehenden „Marktwächter Finanzmarkt“((Aus den Beschwerden bei Verbraucherberatungen und aus Anfragen von Verbrauchern sowie aus empirischen Untersuchungen stellt der Finanzmarktwächter Informationen über Fehlentwicklungen zusammen und informiert Aufsichtsbehörden ebenso wie Verbraucher. Es wird nach dem Prinzip „Erkennen, Informieren, Handeln“ gearbeitet. Somit sollen zukünftig „schwarze Schafe“ auf den Finanzmärkten frühzeitig identifiziert werden.)). Er soll v.a. Geldanlagen zur Altersvorsorge, Kredite, Versicherungen sowie Produkte des Grauen Kapitalmarkts im Blick haben und als Seismograph und Frühwarnsystem fungieren.

Eine regelmäßige Erhebung der Datenlage durch geeignete Institutionen wie das Statistische Bundesamt sowie systematische Testkäufe beim „Marktwächter-Finanzmarkt“ zu integrieren, könnte den „Marktwächter Finanzmarkt“ in seiner Funktion stärken. Schlechte Produkte und solche, die missbräuchlich verwendet werden, könnten schneller identifiziert werden. Gleichwohl sind Testkäufe auf das Wohlverhalten der Unternehmen ausgerichtet und dürften ohne sanktionsbewährte Überprüfung wenig Durchschlagskraft entfalten.

Ein Finanz-TÜV ist damit jedoch überhaupt nicht obsolet. Dessen Funktion ist wie beschrieben eine völlig andere. Er soll vorgeschaltet und präventiv wirken, damit schädliche und überkomplexe Finanzinstrumente gar nicht erst in Umlauf kommen. Es geht um Schadensvermeidung durch Nicht-Zulassung und nicht eine nachgelagerte, möglicherweise weit teurere, zeitintensive und bürokratisch komplexe Reparatur. Daneben ist er handlungsfähig und entfaltet eine eigene Schlagkraft, weil er bestimmte Finanzinstrumente nach entsprechender qualitativer Prüfung einfach nicht zulässt.

Ausblick: präventiver Finanz-TÜV als probates „Mittel gegen Steuerraub“((Die Zeit, 29.6.2017, S. 27.))

Ein Mehrwert könnte dem Finanz-TÜV auch bei der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zukommen, wie aktuelle Hinweise beim Cum-Ex-Steuerskandal((Durch komplexe Aktiengeschäfte um den Dividendenstichtag herum wurden Eigentumsverhältnisse verschleiert mit Ziel, die Kapitalertragssteuer zu umgehen (Cum-Cum) oder sich diese mehrfach vom Staat zurückerstatten zu lassen (Cum-Ex). Der Schaden für den  Vgl. hierzu auch „Politik in Geiselhaft“, Gastbeitrag von Sahra Wagenknecht, Frankfurter Rundschau vom 16.6.2017. )) nahe legen. Konstruktionen in Zusammenhang mit Aktiengeschäften, an denen zahlreiche Unternehmen der Finanz-Industrie, Börsenhändler, Kanzleien sowie über 100 deutsche und ausländische Banken mitgewirkt haben, spielten dabei eine zentrale Rolle. Exemplarisch zeigt dieser Skandal die strukturelle Schwäche der staatlichen Regulierung und Aufsicht auf, insofern diese erstmal bloß den Fällen hinterläuft, geschweige denn überhaupt etwas bemerkt. Bei Cum-Ex ging das fünf Jahre, in denen der größte Schaden entstand. Der Schaden für den Steuerzahler wird nach aktuellen gesicherten Stand der Aufarbeitung (Cum-Ex) mit rund 5,3 Mrd. Euro((Vgl. Süddeutsche Zeitung, „Banken und Börsenhändler sollen Staat um 5,3 Mrd. Euro betrogen haben“. )) angegeben, dürfte aber noch weit höher liegen.

Kapital und wirtschaftliche Macht brauchen Kontrolle. Sowohl ein präventiver Finanz-TÜV als auch eine verantwortungsvolle Kreditvergabe würden hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

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