Das iff hat auch 2015 wieder fast 60.000 überschuldete Haus­halte ausgewertet. Die Zahlen beruhen auf der akribischen Aufnahme der Daten in deutschen Schuldner­beratungs­stellen. Da bei falschen Angaben rechtliche Konsequenzen im Insolvenzverfahren drohen, dürften diese Daten, die zudem noch von Fachleuten erhoben werden, üblichen empirischen Untersuchungen überlegen sein. Allerdings folgt die Datenerhebung keinem Untersuchungsdesign. Welche Schlüsse man aus den Daten zieht, muss sich daher aus dem theoretischen Konzept derjenigen ergeben, die diese Schlüsse ziehen und plausibel machen.

Überschuldungszahlen und Bewertungen – wie weit kann man gehen?

Wir haben daher auch niemals einen Hehl daraus gemacht, dass etwa die Fragen nach den Ursachen der Überschuldung nur bedingt auf Fakten gestützt werden können. Die Untersuchung beweist zwar, dass weit überproportional viele Überschuldete arbeitslos sind, krank waren, eine Trennung durchlebt haben. Dass dies dann auch ein wichtiger Grund der Überschuldung ist, ergibt sich eher aus einer Liquiditätsbetrachtung von Kreditverläufen. Kredite sind auf ein bestehendes Einkommen gemünzt und schöpfen häufig die gesamte Liquidität eines Haushaltes im Monat ab. Fällt das Einkommen, bleibt dagegen die Rückzahlungspflicht starr, so ist es logisch, dass Zahlungsprobleme auftreten. Wo Zahlungsprobleme nachhaltig (2 Raten) auftreten haben Banken das Recht, den Restkredit fällig zu stellen. Dass wer schon zwei Raten nicht zahlen kann, erst recht nicht alle Restraten vorzeitig erfüllen kann, ist ein einfacher logischer Schluss. Man kann daher die Ursache Arbeitslosigkeit auch anders interpretieren.

Ursache der Überschuldung ist dann nicht die Arbeitslosigkeit sondern der Mangel an Kündigungsschutz im Kreditverhältnis sowie an der mangelnden Anpassung der Kreditverträge an veränderte Einkommensverhältnisse. Ähnliches gilt auch für die Trennung. Dass Ehescheidung große Liquiditätsprobleme (doppelte Steuer, doppelte Haushaltsführung, Unterhaltszahlungen, Verlust der Ersparnisse in der Familiengruppe etc.) bringen, ist bekannt. Sie sind aber in aller Regel (wie auch bei Arbeitslosigkeit) vorübergehend. Dass das Kreditrecht und die Praxis der Banken hier keine Antwort haben, ist ein wesentlicher Überschuldungsgrund. Seit langem hat das iff eine Liquiditätsversicherung vorgeschlagen, die Ratenzahlung in diesen Perioden absichert und an Stelle der unsinnigen, überteuerten und verschleiernden Restkreditversicherung auf den Todesfall des Schuldners treten soll. (Schulden erbt man nicht, also müssen die Erben davor auch nicht gesichert werden.)

Überschuldung wegen Leichtsinns?

Spannend ist auch immer die Frage, ob nicht doch Leichtsinn die Überschuldung ausgelöst hat. Es gibt keine objektiven Daten für Leichtsinn. Die Erfahrung zeigt, dass Kredite schon aus rechtlichen Gründen („verantwortliche Kreditvergabe”) so vergeben werden, dass sie bei Vertragsbeginn rückführbar erscheinen. Das prüft der Kreditnehmer wie auch der Kreditgeber. Doch das nützt nichts, wenn sich die Verhältnisse ändern. Deshalb meinen diejenigen, die den Leichtsinn anführen, auch meist etwas anderes. Leichtsinnig ist es für sie, wenn ein aus ihrer Perspektive verzichtbarer Konsum damit finanziert wurde. Aber was ist verzichtbar? Der Alkohol für den Alkoholiker, der neue PKW für den Autonarr, die Ferienreise für den Depressiven oder für diejenigen, die jede Freude miteinander verloren haben? Heinrich Heine meinte dazu: „Sie tranken heimlich süßen Wein und predigten öffentlich Wasser.” Eine freie Gesellschaft hatte es eigentlich den Verbrauchern erlaubt, selber zu entscheiden, was sie verbrauchen wollen. Das muss gilt auch für diejenigen, die dann als Überschuldete in Erscheinung treten. Dass sie mit diesen Wünschen nicht so weitermachen können, dafür sorgt ja schon die extreme Bestrafung durch Kreditkündigung und Pfändung. Die Abschreckung reicht wohl für alle. Dass sich dann bei Herr Zwegat oder der Schulden-Nanny im Fernsehen Überschuldete selber für schuldig erklären, hilft zum Verständnis des Phänomens wenig. Sie tun dies ja nicht aus freien Stücken, sondern weil sie um Hilfe bitten, für die aber nicht nur diese Herren und Damen sondern auch Nachbarn und Freunde Reue verlangen. Wenn das iff-Überschuldungsreport dies gleichfalls als weiche Kategorie neben dem Einkommensverlust anführt, dann verlässt er sich hierbei auf die Meinung der SchuldnerberaterInnen. Aber auch die werden in aller Regel es einfacher haben, wenn sie reumütige Schuldner vorfinden, die gut kooperieren, weil sie glauben, etwas gut machen zu müssen.

Jugendverschuldung

Eine Schlüsselposition nimmt dabei immer die Frage ein, ob sich Jugendliche überproportional verschulden und damit erkennbar wird, dass jugendlicher Leichtsinn eine besondere Rolle spielt. Wir hatten dieser Frage, die jetzt in der Presse zum Bericht 2015 eine Rolle spielte, die Sonderauswertung im iff-Überschuldungsreport 2014 gewidmet. Danach konnte eine wachsende Überschuldung Jugendlicher nicht erkannt werden. Das Durchschnittsalter der Überschuldeten ist vielmehr innerhalb einer Dekade um 2 Jahre gestiegen. (S. 36) Dazu kommt, dass die harten Gründe für Überschuldung wie Arbeitslosigkeit bei höheren Altersklassen (auch ein Vergleich mit der Bevölkerung insgesamt) (S. 37) abnimmt. Bei jungen Menschen dominieren dagegen Arbeitslosigkeit und „sonstiges”. (S. 10) Trennungen spielen noch kaum eine Rolle. Die Schuldnerberater gewichten allerdings ein subjektives Mitverschulden stärker. Ob dies stimmt, müsste in Einzelinterviews aber geklärt werden. Dass das Durchschnittsalter 2015 um 1 Jahr gesunken ist, kann daher kaum als Beweis für eine Zunahme der Überschuldung junger Menschen (Jugendliche unter 18 können ohnehin schon aus rechtlichen Gründen nicht überschuldet sein) dienen. Was bedeutet dann aber die höhere Quote außergerichtlicher Einigungen? Sind diese Einigungen besser als ein gerichtliches Verfahren. Die höhere Abbrecherquote lässt Zweifel zu. Problematisch sind auch die relativ höheren Rechtsverfolgungskosten.

Sind die Armen überhaupt noch überschuldet?

Wir haben immer darauf hingewiesen, dass Armut, die ja von der Armutsforschung als Ausschluss von den Möglichkeiten der Gesellschaft bezeichnet wird, mehrere Stadien kennt: Mangel an Geld, Kredit und Überschuldung, Mangel an Kredit und Ausschluss. Der iff-Überschuldungsreport 2015 gibt hier Anlass zum Nachdenken. Aus der Bundesbankstatistik ist bekannt, dass die Kreditvergabe an Verbraucher relativ stagniert. Nun nimmt auch die Bedeutung der Banken als Gläubiger ab (S. 29 f.). Verlieren sie ihre Rolle als Liquiditätsausgleich und Mittel der Risikostreuung für ärmere Schichten? Die Orientierung der Großbanken weg von den liquiditätsschwachen Verbrauchern weist in die Richtung. Dadurch erhalten andere Schulden bei jüngeren Haushalten wie die aus der Telekommunikation größeres Gewicht.