Verbraucher­insol­venzen erst­mals seit 2008 wieder rückläufig

  • Verbraucherinsolvenzen 2011 mit 101.075 Neueröffnungen auf nied­rigstem Stand seit 2007
  • Verschuldungshöhe der überschuldeten Haushalte leicht gestiegen auf 27.260 Euro (+1,3 %, 2010: 26.897 Euro)
  • Große Dunkelziffer Überschuldeter außerhalb Schuldnerberatung und Insolvenz
  • Betroffene brauchen mit durchschnittlich fast 6 Jahren zu lange, um in die Schuldner­beratung zu kommen
  • Krankheit als weiterer Hauptauslöser für Überschuldung manifestiert
  • Stiftung „Deutschland im Plus” weitet ihr Bildungsangebot weiter aus 

Hamburg, 24.09.2012 – Das Hamburger institut für finanzdienstleistungen e.V. (iff) stellt heute gemeinsam mit der Stiftung „Deutschland im Plus” den Überschuldungs­report 2012 vor. Demzufolge sank die Anzahl der Verbraucher­insol­venzen in Deutschland 2011 mit 101.075 Fällen erstmals seit 2008 wieder und erreich­te den niedrig­sten Stand seit 2007 (103.085). Gegen­über 2010 bedeutet das einen Rück­gang von fünf Prozent (2010: 106.290) und reflek­tiert die stabile konjunktu­relle Entwick­lung. Für 2012 deutet sich eine weitere Entspannung an: Die positive Entwick­lung des Arbeits­marktes seit Ende 2009 hat bis ins erste Quartal 2012 hinein die Zahl der Neu­insol­venzen weiter sinken lassen. Ange­sichts der sich aktuell andeu­tenden Konjunktur­abschwächung wird sich dieser Trend 2013 voraus­sichtlich nicht mehr fortsetzen.

Neben dem Rückgang der Insolvenzfälle zeigt der Report vor allem weniger erfreuliche Entwicklungen:

  • Die durchschnittliche Verschuldung der Überschuldeten stieg nach dem historischen Tiefststand von 2010 (rund 26.900 Euro) wieder leicht an auf rund 27.300 Euro (2011). Dies reflektiert die bessere Arbeitsmarkt- und Einkommenssituation: In Zeiten höherer Arbeitslosigkeit lösen bei geringem Einkommen bereits geringe Schulden eine finanzielle Krise aus, so dass dadurch auch die durchschnittliche Schuldenhöhe geringer ist.
  • Krankheit hat sich inzwischen als einer der häufigsten Überschuldungsauslöser etabliert: 2005 lag der Anteil der Betroffenen noch bei 5 Prozent, 2011 wurde mit 10,2 Prozent der bisherige Höchststand erreicht, Tendenz weiter steigend. Arbeitslosigkeit als Ursache ist mit 31,8 Prozent zwar rückläufig (2010: 33,5 Prozent), aber nach wie vor häufigster Auslöser. Zu den „Big Five” der Hauptauslöser gehören außerdem Scheidung oder Trennung mit 12,0 Prozent (2010: 12,9 Prozent), Konsumverhalten mit 10,2 Prozent (2010: 8,8 Prozent) sowie gescheiterte Selbständigkeit mit 9,5 Prozent (2010: 9,6 Prozent).
  • Bankschulden machen nach wie vor den größten Anteil der Gesamtschuldenbelastung aus, sind aber weiter zurückgegangen auf durchschnittlich 12.711 Euro (2010: 13.468 Euro). Die öffentliche Hand ist weiterhin der zweitgrößte Gläubiger. Mit durchschnittlichen Forderungen von 4.869 Euro ist ein neuer Höchststand erreicht, mehr als ein Drittel der Überschuldeten hat drei oder mehr verschiedene Schulden beim Staat. Daher unterstreicht das iff seine Forderung an den Staat, mit Schuldnern flexibler und weniger bürokratisch umzugehen sowie sie früh an kompetente Beratungsstellen zu vermitteln. Auch der Anteil der Betroffenen mit Schulden bei Telekommunikationsanbietern stieg im Jahr 2011 weiter auf 59,2 Prozent, wenngleich die durchschnittliche Schuldenhöhe nach dem Hoch von 2010 (1.117 Euro) wieder gesunken ist (2011: 907 Euro).
  • Bildung: Im Jahr 2011 hat sich der Anteil der Betroffenen ohne abgeschlossene Berufsausbildung weiter auf fast 46 Prozent erhöht. Ausbildungen und Abschlüsse sind im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich unterrepräsentiert, was zeigt, dass eine laufende Ausbildung und ein abgeschlossenes Studium vor Überschuldung schützen: Sie ermöglichen Zugang zum Arbeitsmarkt und damit zu geregeltem Einkommen, womit finanzielle Krisen verhindert und besser ausgeglichen werden können.
  • Der iff-Überschuldungsreport basiert auf rund 12.000 Beratungsfällen von Schuldnerberatungen. Schätzungen haben ergeben, dass die Dunkelziffer derer, die trotz einer finanziellen Notlage nie die Beratung erreichen, bei bis zu 4 Mio. Personen liegen könnte; das entspricht jedem zwölften Erwerbsfähigen.

iff-Experte Michael Knobloch über den aktuellen Report: „Durch unsere Analyse wird die Überschuldungssituation in Deutschland transparenter. Alle beteiligten gesellschaftlichen Gruppen aus Politik, Verwaltung und Schuldnerberatung, den betroffenen Haushalten und den Anbietern von Finanzdienstleistungen erhalten damit Orientierung, wie sie einen Beitrag zur Verringerung der Überschuldungsproblematik leisten können.

Aus dem vorliegenden jüngsten Bericht ziehen wir folgende zentrale Erkenntnisse:

  • Das Verbraucherinsolvenzverfahren hat sich etabliert und ist für die meisten Personen, die den Weg in die Schuldnerberatung finden, das Mittel der Wahl.
  • Die Dunkelziffer derjenigen Personen, die überschuldet sind und keine Beratungsstelle aufsuchen liegt hoch. Zudem zögern die Personen, die diesen Weg einschlagen, zu lange: Bis zur Anmeldung vergehen durchschnittlich fast 6 Jahre.
  • Die Anzahl der Überschuldungen ist wie die Insolvenzzahl nach dem Rekord von 2010 zwar wieder zurückgegangen. Dies reflektiert die Erholung von der Wirtschaftskrise, die sich bei der Überschuldungsstatistik üblicherweise mit einer Zeitverzögerung von eineinhalb Jahren niederschlägt. Dennoch kann angesichts einer Sockelüberschuldung von seit Jahren mehr als 2,5 Millionen Haushalten keine Entwarnung gegeben werden.
  • Die Höhe der Einzelverschuldung ist leicht gestiegen; das hängt überwiegend mit der gestiegenen Beschäftigungsquote zusammen: Bei höherem Einkommen sind auch höhere Schulden möglich und wahrscheinlicher.
  • Die Forderungen des Staats und der Krankenkassen spielen bei der Überschuldung eine wichtige Rolle. Über entsprechende Gesetzesänderungen wie beispielsweise die Regelungen zur Zuzahlungspflicht im Gesundheitswesen könnte der Staat einen Beitrag zur Reduzierung der Überschuldung leisten.
  • Das neue Pfändungsschutzkonto setzt sich zunehmend durch: Vier von fünf Überschuldeten haben bereits zu Beratungsbeginn ein Konto mit derartiger Funktion. Auch die Versorgung mit Girokonten hat sich bei den Überschuldeten leicht verbessert.
  • Das Ausbildungsniveau bei den Überschuldeten sinkt, während es in der Gesamtbevölkerung steigt. Schulische, berufliche und finanzielle Bildung bieten mehr denn je Schutz vor Überschuldung.
  • Besonders häufig von Überschuldung betroffen sind Personengruppen, die sich durch Einkommensarmut auszeichnen (72 Prozent der Betroffenen). Vor allem Alleinerziehende und Haushalte mit drei oder mehr Kindern finden sich bei Überschuldeten mehr als doppelt so oft wie in der Bevölkerung. Die Rentner sind momentan zwar noch unterdurchschnittlich von Überschuldung betroffen. Sollte es mittelfristig aber dazu kommen, dass die staatlichen Renten nicht mehr ausreichen, ist ein Anstieg der Überschuldungsbetroffenheit der Älteren zu befürchten,”

Dr. Christiane Decker, Vorsitzende des Stiftungsvorstands „Deutschland im Plus” (die Stiftung für private Überschuldungsprävention) warnt davor, den jüngsten Rückgang der Verbraucherinsolvenzen als Entwarnungssignal zu werten: „Die beobachtete Entspannung ist maßgeblich auf die konjunkturelle Situation zurückzuführen. Bei den beeinflussbaren Schutzfaktoren wie Bildung erleben wir hingegen eher Verschlechterungen.”

Ein Insolvenzverfahren bringt nicht nur wirtschaftliche, sondern auch drastische persönliche Einschränkungen mit sich. Dr. Christiane Decker: „Wir müssen weiterhin alles daran setzen, Menschen vor Überschuldung zu bewahren. Dazu leistet die Stiftung ‚Deutschland im Plus‘ mit ihrem Angebot zur finanziellen Bildung einen wesentlichen Beitrag. Denjenigen, die bereits in einer finanziellen Krise sind, kann unsere Aufklärungsarbeit zudem helfen, die Situation frühzeitig als kritisch zu erkennen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.”

Die Stiftung „Deutschland im Plus” hat mit den Unterrichtseinheiten „Konsum geplant – Budget im Griff” bereits über 16.000 Jugendliche erreicht. Dieses Engagement zur Überschuldungsprävention wird deutschlandweit kontinuierlich weiter ausgebaut. Die Magazine „KinderPlus” und „ImPlus” animieren zum Dialog über Finanzwissen innerhalb der Familie und erreichen neben ihrer Online-Präsenz eine Auflage von über 40.000 Exemplaren.

Informationen über die Stiftung und Abonnement der Magazine unter www.deutschland-im-plus.de und www.kinderplus.org.

Über den Überschuldungsreport:

Seit 2006 erstellt das Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen jährlich den iff-Überschuldungsreport, der auf einer detaillierten Auswertung von rund 12.000 Einzelfällen, die eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchen, basiert. Die Erstellung des Berichts wird von der Stiftung „Deutschland im Plus” gefördert.