Prof. Udo Reifner, der Mitbegründer des iff e.V.  hat seine letzte Vorlesung am Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg, der ehemaligen Hochschule für Wirtschaft und Politik mit einem kritischen Rückblick auf die Geschichte dieser Institution mit einem Ausblick für die Chancen einer demokratischen Wirtschaftswissenschaft als Sozialökonomie gehalten.
Die Vorlesung hatte eine unbewußte Aktualität, weil, wie der NDR meldete,  laut CHE Ranking das Land Hamburg, das einstmals gerade wegen der HWP einen Spitzenplatz im universitären zweiten Bildungswegs einnahm, auf den vierten Platz zurückgefallen ist. Das entspricht den Zahlen in dem Vortrag, wonach sich die Studierenden ohne Abitur im Fachbereich Sozialökonomie halbiert haben. Reifner sieht den Grund nicht darin, dass die Zulassung erschwert wurde, sondern dass durch die Umgestaltung der HWP in eine Managementschule die Attraktivität für Berufserfahrene, die ihre eigene Praxis wissenschaftlich mit Hlfe der interdisziplinären Sozialökonomie reflektieren wollen, dramatisch gesunken ist.  Gerade die Finanzkrise habe gezeigt, wie wichtig wenigstens ein kleines Bildungsangebot sei, das den Begriff Wirtschaft im Sinne von Aristoteles als das gute Leben aller auf der Grundlage der Gerechtigkeit versteht.
Professor Reifner wird weiter ehrenamtlich am iff tätig sein und in Zukunft auch an der Universität Trient lehren.

Wir dokumentieren seinen Vortrag.

Zusammenfassung

Die HWP und der Verfasser wurden im gleichen Jahr geboren, erreichen im nächsten Jahr die Altersgrenze und haben dabei die Hälfte der Zeit miteinander verbracht. Die HWP war für ihn nach den Erfahrungen mit dem Umfeld des Radikalenerlasses in West-Berlin ein Ausdruck von Liberalität und Toleranz mit der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Diskussion in den Gesellschaftswissenschaften, die Vielfalt ohne parteipolitische Gelübde möglich machte.

Die Umwandlung der HWP in eine Managementschule seit 2007 durch eine Personalpolitik, die Interdisziplinarität unmöglich machte, mit Strukturen, die der akademischen Freiheit diametral entgegen gesetzt sind und Ressourcen einseitig verteilte, war möglich, weil die Fähigkeit der alten HWP, aus ihren Erfahrungen zu lernen und selbstkritisch gemeinsam das zu verteidigen was sie auszeichnete, an ihren inneren Widersprüchen und der Selbstüberschätzung scheiterte. Dabei hatte die HWP es nicht leicht, beruhte sie doch weitgehend auf Strukturen und Gemeinschafts-Ideologien einer Sozialökonomie, die bereits in der Weimarer Zeit mit dem dominierenden Anti-Kommunismus keine ausreichende Fähigkeit zur Abwehr des Faschismus erreicht hatten. Deshalb konnte im nationalsozialistischen sozialökonomischen Seminar der Universität Hamburg das alte Kolonialinstitut von 1909 wieder aufleben. Gleichzeitig konnten sich die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen z.T. mit identischem Personal so lange zu den Formen zurückentwickeln, die ihnen die Deutsche Arbeitsfront verschafft hatte, bis sie in ihrer eigenen Korruption versanken und zusammenbrachen. Als Managerausbildung für die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen war die Akademie für Gemeinwirtschaft daher in einer bewussten doppelten Kontinuität. Motoren waren Karl Schiller (Sozialökonomisches Seminar) und Erich Klabunde (Neue Heimat), die die Wirtschaftspolitik der Hamburger SPD nach 1945 dominierten. Die Berufung ausschließlich in der NS-Zeit stark belasteter Professoren, die untereinander verbunden sich von den NS-nahen Einrichtungen in Königsberg, Straßburg und Hamburg/Kiel kannten, bedeutete daher nicht nur eine personelle und inhaltliche sondern auch eine Kontinuität im Praxisfeld.

Die HWP hat es im Gefolge von 1968 geschafft sich hiervon zu emanzipieren und eine Wirtschaftswissenschaft zu entwickeln, die den umfassenden Aristotelischen Wirtschaftsbegriff vom guten Leben aller zurückgewann, Gemeinschaftsideologien durch Gesellschaftswissenschaften ersetzte und damit Interdisziplinarität, Internationalität und Praxisorientierung erreichte. Die Bedingungen hierfür sind nicht mehr vorhanden. Sie ist zur Managementschule zurückgekehrt, wobei die Reduktion ihres Ansatzes auf den zweiten Bildungsweg ein Zerrbild des Modells HWP ist. Der Aufsatz zeigt Wege auf, wie mit einer historisch bewussten Sozialökonomie in Hamburg oder anderswo die Erfolgsgeschichte, der der Verfasser seine wissenschaftliche Laufbahn verdankt, fortgesetzt werden kann.

Inhaltsverzeichnis des Handout

A. Berufsverbote und Akademische Freiheit – Mein Weg zur HWP 1981
B. Managementfakultät 2012

I. Betriebswirtschaft statt Sozialökonomie
II. Ressourcenverteilung
C. Aufstieg und Niedergang der HWP 16
I. Akademie für Gemeinwirtschaft und Politik (1948-1966)
II. Hochschule für Wirtschaft und Politik (1967-1987)
III. Hamburger Universität (1988-2013)
D. Was zeichnete die HWP aus? 40
I. Aristotelische Streben nach gutem Leben: Interdisziplinarität
II. Reflexion wirtschaftlichen Handelns: der Praxisbezug
III. Gesellschafts- statt Gemeinschaftsökonomie: Internationalität
E. Welche Sozialökonomie für den Fachbereich?  49
I. „Sozialökonomisches Seminar” der Universität Hamburg
II. Staatswissenschaften und Nationalökonomie
III. Politische Ökonomie
IV. Sozialökonomie
V. Das HWP-Konzept
F. Sozialökonomie – 10 Thesen für einen Neubeginn  63

Thesen für einen Neubeginn

  1. Fachbereich: Der Fachbereich Sozialökonomie (HWP) führt die interdisziplinäre, praxis­orientierte und internationale Tradition der Hochschule für Wirtschaft und Politik (1970-1991) als Hochschule des zweiten Bildungsweges fort.
  2. Ziel: Auf der Grundlage eines umfassenden Begriffs von Wirtschaft sollen interdisziplinär geforscht und Studierende ausgebildet werden, die vor allem in wirtschafts- sozial- und rechtsberatenden Berufen, als Kontrolleure und Beobachter von Wirtschaft, in Presse und Politik, in gemeinnützigen Organisationen oder im Management von Unternehmen tätig sind.
  3. Untergliederung: Der Fachbereich gliedert sich in vier gleichgewichtige Fachgebiete VWL, BWL, Rechtswissenschaft und Soziologie. Er unterhält ein Bachelorprogramm mit dem Ab­schluss eines BA in Sozialökonomie. Es teilt sich in ein Grundstudium zur Einführung in das interdisziplinäre wissenschaftliche Arbeiten anhand von Lernprojekten sowie die ein­zelnen Disziplinen und das Hauptstudium zu speziellerem Forschen und Lernen ein, das auch propädeutische Fächer zur Kompensation von Nachteilen des zweiten Bildungsweges anbie­tet. Die Masterprogramme bauen auf dem Bachelorstudium auf.
  4. Studieninhalte: Die Studiengänge orientieren sich an zwischen den Fachgebieten bestimm­ten Praxis- und Erkenntnisbereichen, die ausreichend repräsentativ und berufspraktisch rele­vant sind sowie ein interdisziplinäres Herangehen erfordern. Im Bachelor betrifft dies die Bereiche Arbeit und Personal, Markt und Konsum, Staat und Politik, für die weitere Präzi­sierungen möglich sind. Arbeitsrecht und Verbraucherschutzrecht sollen die Verbindung zwischen marktwirtschaftlichen Möglichkeiten und sozialen Zielen in der Wirtschaft ver­deutlichen.
  5. Lehre: Die Lehre in Vorlesungen zur Vermittlung der Inhalte der wissenschaftlichen Diszi­plinen wird durch Professoren sowie wissenschaftliches Personal erbracht, das sich für diese Disziplinen in Forschung und Lehre besonders qualifiziert hat und deren Eignung geprüft wurde. Die Professoren werden durch eine angemessene Anzahl von Assistenten unterstützt, die vor allem Gelegenheit zur interdisziplinären Forschung erhalten.
  6. Forschung: Jedes Fachgebiet wählt einen Sprecher und einen Forschungsbeauftragten. Die Forschungsbeauftragten bilden den interdisziplinären Forschungsrat, der Sorge dafür trägt, dass Lehre und Forschung den interdisziplinären Ansprüchen der Sozialökonomie gerecht werden.
  7. Autonomie: Der Fachbereich verwaltet sich innerhalb der Universität (und der Fakultät) sel­bst. Er bestimmt Fachbereichsrat und Vorsitzenden. Stellenausschreibungen und Besetzun­gen gehören zu seinen Aufgaben. Bei Beteiligung Dritter muss gewährleistet sein, dass dabei der spezifisch interdisziplinäre Anspruch des Fachbereichs in Auswahl und Kompetenz be­rücksichtigt wird.
  8. Schwerpunktbildung: Die Studierenden können innerhalb des bestehenden Lehrangebots wählen. Dabei sollen praxisrelevante sachliche Schwerpunktbereiche gebildet werden. Die fachliche Zusammensetzung der Lehre ergibt sich aus den Studienplänen für den sachlichen Schwerpunktbereich.
  9. Praxis: Das Studium soll aktiv Praxiserfahrungen der Studierenden einbeziehen und dafür Sorge tragen, dass über Praktika alle Studierenden solche Erfahrungen machen können. Die beruflichen Zielbereiche werden in Einführungsveranstaltungen unter Einbeziehung von Praktikern dargestellt. Der Fachbereich bildet einen Beirat, dem die Alumni-Organisation GdFF sowie gesellschaftliche Gruppen nach dem Modell der Rundfunkräte angehören sol­len. Der Beirat gibt einen jährlichen Bericht über die Erreichung der Ziele.
  10. Internationalität: Das Studium ist international ausgerichtet. Es strebt Doppelabschlüsse mit ausländischen Universitäten an und ermöglicht insbesondere ausländischen Studieren­den und Migranten das Studium durch Zulassungsquoten und adäquate sprachliche und in­haltliche Angebote.

Schluss

Die HWP hat eine Fortsetzung verdient. Sie darf allerdings keine reine Rückkehr zur alten HWP sein. Sie muss weder in der WiSo-Fakultät noch überhaupt in der Universität Hamburg verortet blei­ben. Für den Neubeginn der HWP muss es eine politische Initiative von außen geben. Hierbei soll­ten DGB, Verbraucherzentrale Hamburg, Hans-Böckler-Stiftung, Arbeitgeberverband, interessierte politische Parteien und GdFF beraten und diejenigen Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Studierenden der HWP zusammenwirken, die einen sozialökonomischen Ansatz befürworten. Ausstattung und Qualität erfordern eine begrenzte Anzahl von Studierenden. Durch Opt-Out des Überhangs von BWL-Professoren an den Fachbereich BWL, wo eine vollwertige Managementschule ihren Platz hätte, sollte eine angemessene Relation und der Ausgleich der Disziplinen erreicht werden.

Damit möchte ich mich von dieser Hochschule hier vertreten durch ihre hervorragenden engagierten Studierenden verabschieden und mich noch einmal für die Chancen bedanken, die die HWP mir eingeräumt hat. Ich werde ihr verbunden bleiben und meinen Rat und Hilfe allen anbieten, die diese Tradition gleichgültig in welcher Form und an welchem Ort kritisch fortsetzen wollen.