Schule als Tummelplatz der Wirtschaft?

Welches Unternehmen möchte nicht gerne gleich die Kinder in der Schule abholen. Statt etwas über Anbaugebiete, Fair Trade oder Kaffee zu lernen, sollte man lieber Tchibo und Eduscho kennen lernen, statt des Verkehrsunterrichts lieber VW fahren. Für Finanzdienstleister ist die Verlockung am größten, da bekannt ist, dass diejenigen, die in der Jugend ihr Konto eröffnen oder Versicherungen abschließen, oft lebenslang gebunden sind. Denn der Wechsel ist schwierig und die Informationen über den Kunden universell.

Die Schulgesetze vieler Bundesländer wissen das ebenso wie Art. 7 des Grundgesetzes, der wohlweislich die Bildung dem Staat oder seiner Aufsicht überträgt und den Missbrauch der Schule für Marketing verbietet. Dass man in der Schule keine Kontoanträge verteilen und keine Versicherungspolicen verkaufen darf, dürfte daher selbstverständlich sein. Leider wird dieses Gebot in den Universitäten bereits grob missachtet, wenn Strukturvertriebe sich hier einnisten und mit einzelnen Professoren aktive Akquisition unter dem Deckmantel der Karriereförderung betreiben.

Schon in der Vergangenheit haben Unternehmen Kontakte in die Schulen aufgenommen: Sie haben sich Nikolausmützen angezogen, sind mit Fußbällen oder Luftballons unter dem Arm zu den Bundesjugendspielen gekommen oder haben Sparschweine verteilt, um Jugendliche zu umwerben.

Darunter auch Finanzdienstleister, die bereits in Grundschulen versuchen über die Eltern Girokonten zu „verkaufen” oder den Kindern Aktienspiele bieten, bei denen sie lernen sollten, schnell und ohne Arbeit reich zu werden – und das nach der Finanzkrise. Das Versagen ihrer „Spielführer” aus der Praxis auf den realen Wertpapiermärkten hat jedoch Eltern und Lehrer stutzig werden lassen. Andererseits wird „Sparerziehung mit erhobenem Zeigefinger” propagiert.

Das Märchen der Jugendüberschuldung

Finanzdienstleister, die seit Neuestem verstärkt mit eigenem Personal in die Schule drängen, propagieren das Ziel, die Überschuldung von Jugendlichen reduzieren zu wollen. Die Kenntnisse der „neuen Lehrer” von den Problemen ihrer zukünftigen Schüler kann man bereits in der Bewerbung ihres Programms zur „Finanziellen Bildung” z.B. von Allianz und McKinsey ablesen:

„Viele Kinder haben heute schon einen Berg Schulden, noch bevor sie volljährig sind. Insbesondere kostspielige Mobiltelefon-Verträge können problematisch sein.”

Das ist eine bewusste Falschinformation. Minderjährige haben ein gesetzliches Recht auf Schuldenfreiheit bis zum 18. Lebensjahr. Nicht einmal ihre Eltern dürfen für sie Kredite abschließen. Auch bei den Handyverträgen geht in der Regel nichts ohne die Eltern. Mit 18 hat man zudem ein Recht, sich von evtl. entstandenen Schulden zu befreien. Das iff ebenso wie die SCHUFA haben gleichwohl das Ganze empirisch untersucht. Es stimmt! Jugendverschuldung ist eine Panikmache von interessierter Seite. Mit ihr soll suggeriert werden, das Überschuldungsproblem der Erwachsenen sei kein Problem der Banken und der Arbeitslosigkeit, sondern die Folge einer „übermütigen” Jugend.

Kommentare zu MyFinanceCoach

„Allianzvertreter in die Schulen”

Jetzt haben McKinsey und der Allianz-Konzern eine großangelegte Aktion gestartet.
Hier sind Allianzmitarbeiter nicht mehr Versicherungsvertreter sondern „Lehrer” aus der „Arbeitswelt”: So heißt es: „Bei den Schülern kommt es gut an, wenn jemand aus der realen Arbeitswelt mit Wissen und Erfahrung ihre Klasse besucht und mit ihnen spricht” und so den Unterricht zu diesem Thema übernimmt. Die Mitarbeiter der Allianz „erhalten eine dreistündige Schulung. Sie bekommen Hintergrundinformationen und pädagogische Tipps” für den Umgang mit 11- bis 15-Jährigen.

Es stellt sich die Frage, ob dieser Personenkreis für das Unterrichten besser geeignet ist als Lehrer, die Pädagogik und Gesellschaftslehre studiert haben, in einem Referendariat unter Beweis stellen mussten, dass sie mit Schülern umgehen können und als Beamte auf die öffentliche Neutralität festgelegt sind.

Förderung des Allgemeinwohls oder des Unternehmenserfolgs?

Es sind Fragezeichen angebracht, wenn sich die Allianz damit als Förderer des Gemeinwohls, unter dem Stichpunkt „Demographie: Strategie”, wie folgt darstellt: „Die Allianz hat bei der sozialen Unternehmensverantwortung ein übergeordnetes Ziel: Das Fachwissen des Unternehmens soll zum Nutzen der ganzen Gesellschaft weitergegeben werden. Jede Firma kann Geld spenden, aber die Weitergabe des Knowhows hat eine viel größere Wirkung”.

Firmen haben in der Tat viel Geld und es ist für alle Beteiligten das Teuerste was die Unternehmen tun können, eigene aber für die Lehre nicht ausgebildete Mitarbeiter in die Schule zu schicken. Denn es reicht nicht aus Autoverkäufer zu sein, um Autofahren zu können. Die Schüler tragen anschließend die persönlichen Konsequenzen.

Amerikanische Studien haben ergeben, dass Schüler nach solchen Kursen teilweise schlechter auf finanzielle Probleme reagierten als ohne. Grund: das Misstrauen gegenüber Angeboten und Anbietern wurde genommen, das Wissen sich dagegen zu wehren aber nicht vermittelt.

Billiger und effektiver wäre es, die finanzielle Allgemeinbildung in Schulen, so wie es andere Stiftungen und Unternehmen inzwischen tun, mit Geld zu unterstützen. Die eigentlichen Motive der Allianz werden an anderer Stelle aufgedeckt: Es geht doch um Jugendmarketing.

Der Allianz-„Lehrer” spricht von Markterschließung

„Ich arbeite für Allianz Global Investors, das Anlagenmanagement der Allianz-Gruppe. Ich bin für die Unternehmensentwicklung in Europa zuständig. Ich glaube wirklich, der finanziellen Bildung wird in den Schulen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt.

Durch unsere Erfahrung auf dem Finanzmarkt sollten wir doch in der Lage sein, den Kindern auf spielerische Weise das ernste Thema Geld nahezubringen.

[…] wir erreichen auf diese Art die Gesellschaft und auch zukünftige Konsumenten, obwohl wir niemals direkt Allianzprodukte anbieten und bewerben.

Wir erstellen bei Allianz jede Menge theoretische Trendstudien, aber das direkte Gespräch ist viel wichtiger.”

Dieser „Lehrer” hat das Ziel von MyFinanzCoach schon richtig verstanden. Die Unterrichtsgespräche, so meint er, seien wichtig für den Allianzkonzern – aber sind sie auch für die Schüler hilfreich?

Die Alternative: Statt Allianz in die Schulen, Schüler zur Allianz

Nichts gegen das Engagement von Banken und Versicherern in der Bildung. Wer komplexe (und teilweise gefährliche) Produkte in Umlauf bringt, ist auch dafür zuständig, dass die Menschen lernen damit umzugehen. Es stellt sich nur die Frage der Form.

Der Umgang mit Geld erfordert Wissen über Finanzdienstleistungen, wie sie in der Praxis vorkommen, und vor allem die Kompetenz mit ihnen und den Anbietern von Finanzdienstleistungen umzugehen. Dazu müssen Lehrer und/oder neutrale Institutionen herangezogen werden, die den Schülern dreierlei beibringen:

  1. Finanzdienstleistungsprodukte sind komplex und teilweise gefährlich.
  2. die Produkte müssen zu der jeweiligen Situation, zu den Interessen und Bedürfnissen desjenigen, der sie in Anspruch nimmt, passen.
  3. die Produktverkäufer handeln nach Gewinnprinzipien, die den Interessen des Kunden oft widersprechen. Ein schlechtes Produkt für den Verbraucher ist, wie die Finanzkrise gelehrt hat, für Anbieter oft ein gutes.

Für diese essenziellen Inhalte finanzieller Allgemeinbildung sind die Verkäufer von Finanzdienstleistungen als Lehrer nicht geeignet. Es bestehen Interessenskonflikte, da sie keine Pädagogen und zudem keine Experten für Kunden-, sondern für Unternehmensprobleme sind. Leitbild ist der kritische und mündige Verbraucher. Schreckbild sind Rattenfänger in der Schule. Dennoch können Anbieter zur finanziellen Allgemeinbildung beitragen, indem sie Schülern ermöglichen, Beratungsgespräche, die sie früher oder später auch im „realen Leben” führen werden, in einem geschützten Rahmen (vor- und nachbereitet durch Schüler und Lehrer) zu üben.

Finanzdienstleister sollten bei der Förderung der finanziellen Allgemeinbildung folgende Grundsätze beachten:

  • Lehrer sind und bleiben diejenigen, die in der Schule dafür angestellt und ausgebildet wurden zu unterrichten.
  • Die Unterrichtsmaterialien müssen unter staatlicher Aufsicht bleiben und von neutralen Stellen wissenschaftlich entwickelt werden.
  • Schüler, die auf ihre Kundenrolle vorbereitet werden sollen, stellen Fragen an die Wirtschaft, statt von ihr belehrt zu werden.
  • Finanzdienstleister gehören nicht in den Unterricht, sondern die Schüler in fiktive Beratungsgespräche durch die Anbieter. Dort können sie den Umgang mit Finanzdienstleistern und deren Produkten üben.
  • Jeder Kontakt mit einem Experten aus der Wirtschaft muss gemeinsam mit dem Lehrer in der Schule kritisch vor- und nachbereitet werden.